Der Kampf für Demokratie und Würde

Christina/ Februar 24, 2012/ Kultur

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Die Ankündigung einer „Podiumsdiskussion mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Markus Löning“ per E-Mail machte mich neugierig. Positiv fiel mir in dem Schreiben auf, dass bei der Diskussion auch Vertreter aus arabischen Ländern zu Wort kommen sollten. Neben Markus Löning, nahmen also Matthias Katzer (Amnesty International), Dr. Sadiqu Al-Mousllie (Mitglied des Syrischen Nationalrats) und Chaouki Ben Attia (Vorsitzender des tunesischen akademischen Vereins) an der Veranstaltung teil. Versprochen wurde eine Diskussion „über die Auswirkungen des Arabischen Frühlings, mögliche Wege zur Demokratie und über die Zukunft der Region“, die nach kurzer Zeit in den üblichen Islam-Diskurs mündete.

Löning hielt ein knappes Impulsreferat über seine Eindrücke, die er bei Besuchen in Ägypten und Tunesien 2011 gesammelt hatte. Eindringlich seien ihm der Mut und die hohe Risikobereitschaft der Menschen, mit denen er auf seinen Reisen gesprochen hatte, in Erinnerung geblieben: „Die Inkaufnahme des Risikos, verprügelt, gefoltert oder sogar getötet zu werden, hat mich am meisten bewegt.“ Löning sprach von einer Verpflichtung der deutschen Bürger, die Menschen in den arabischen Ländern zu unterstützen. Auf die Frage hin, wie die Menschen vor Ort den „Arabischen Frühling“ selber bezeichneten, erhielt Löning die Antwort, dass es um den Kampf „für Demokratie und Würde“ ginge. „Ihr müsst doch verstehen“, appellierte einer seiner Interviewpartner, dass nicht jeder, der in eine Moschee ginge, auch Bomben werfe“. Die Wahl religiös ausgerichteter Parteien (wie z.B. in Tunesien und Ägypten) stelle den Willen des Volkes dar und sei im Grunde genommen mit der Situation des Aufbaus Europas vergleichbar, der ebenso durch konservative Parteien erfolgt sei, so erinnerte der Menschenrechtsbeauftragte.

Persönliche Berichte sind, nicht zuletzt in Web 2.0-Zeiten, eine inspirierende Abwechslungen zu den alltäglichen politischen Floskeln des öffentlichen Diskurses. Allerdings öffnete Löning – vielleicht unbewusst – mit der Schilderung seiner Eindrücke und dem abschließenden Appell sogleich Büchse der Pandora. Moderator Holger Flöge, der ebenso wie Löning und der Initiator des Abends, MdB Florian Bernschneider, aus dem Lager der FDP kommen, verdirbt mir gleich mit seiner ersten Frage vollends den Abend: „Welches Verständnis haben die Menschen vor Ort vom Islam?“ Ohne zu überlegen, fallen mit mindestens fünf Fragen an die Podiumsteilnehmer ein, die mir wesentlicher interessanter und gewinnbringender zu sein scheinen. Exemplarisch möchte ich die Frage nach der aktuellen Situation der Menschen in Syrien, besonders in der Stadt Homs, oder nach einem Konzept, das die Bundesregierung vorlegen könnte, wie sie die Menschen in den „Umbruchs-Staaten“ auf Ihrem Weg in die Demokratie wirkungsvoll zu unterstützen gedenkt, nennen.

Persönlich erlaube ich mir an dieser Stelle die Bemerkung, dass ich diese erste Frage von Flöge nicht nur, angesichts der momentanen Lage, für taktlos, sondern auch für wenig zielführend erachte. Was ist damit gewonnen, wenn wir zum 100.000 Mal die Frage erörtern, ob alle Muslime Islamisten sind und ob die Region von Nordafrika bis zum Nahen Osten künftig ein einziger islamischer Gottesstaat sein wird? Al-Mousslie bittet in einer ersten Erwiderung auf die oben genannte Frage zu bedenken, dass man in der Not „Halt“ bei Gott suche und man doch bitte zwischen „islamisch“ und „islamistisch“ differenzieren möge. Ich empfinde es als eine Zumutung, dass sich Al-Mousslie überhaupt in der Diskussion mit einer solchen Frage konfrontiert sieht. Es folgt eine längere Erklärung Ben Attias, dass die Ennahda-Anhänger Tunesiens während der Herrschaft Ben Alis unterdrückt, verfolgt und gefoltert worden. Es wird damit argumentiert, dass die Bevölkerung von den alten Machthabern genug habe und nun die Leute an die Regierung kommen lässt, die es jahrzehntelange nicht durften und dass man den neuen Staatsmächten doch bitte Zeit geben möge.

Ist es tatsächlich nötig, solche Selbstverständlichkeiten einen Abend lang zu diskutieren? Geht es dem Publikum des Abends wirklich wieder nur darum zu klären, ob ihnen jetzt Gefahr aus dem Nahen Osten drohe? Nach Aussagen Al-Mousllies sterben derzeit täglich in Homs mindestens 100 Menschen durch kriegerische Übergriffe der syrischen Armee und da leisten wir uns den Luxus, stundenlang darüber zu debattieren, ob „Al-Qaeda“ jetzt auch in Syrien mitmische oder nicht? Wie ethnozentristisch ist das denn bitte? Jahrzehntelang wird darüber gezetert, gelästert und gelacht, dass es die arabische Welt angeblich einfach nicht schaffe, sich vom Joch der – zum größten Teil vom Westen bezahlten oder zumindest unterstützten – Despotenherrschaft zu befreien. Und als es dann gelingt, dann gibt es plötzlich keine andere Sorge als die „islamistische Gefahr“? Geistig fühle ich mich mit einer solchen Einstellung einfach überfordert: wir reden doch hier immer noch von Menschenleben, die akut bedroht sind, oder?

Im Zuge der ziellos scheinenden Debatte warf Löning ein: „Gesunden Menschenverstand, dass im eigenen Interesse vernünftig gehandelt wird, sollte man erstmal unterstellen“.

Da schoss Flöge bereits die nächste – man kann im positiven Sinne nur annehmen, dass es Gedankenlosigkeit ist – sinnfreie Frage hinterher: „Ist das deutsche oder westliche demokratische System in die arabischen Länder transferierbar?“ Strike! Genauso gut hätte die Frage lauten können: „Wie wahrscheinlich ist es, dass der Kommunismus das demokratische System Deutschlands in den nächsten Jahren ablöst?“ oder „wird der nächste Bundeskanzler Muslim sein?“

Einen wahren Lichtblick stellte für mich eine Wortmeldung aus dem Publikum dar, dass die Debatte über Religion an dieser Stelle kontraproduktiv sei. Danke!

Zu einem späteren Zeitpunkt nahm die Diskussion zum Glück noch etwas Fahrt auf, als sich aus dem Publikum mal endlich jemand dafür interessierte, welche konkrete Hilfe aus Deutschland den Menschen vor Ort helfen könnte. Ben Attia beantwortete die Frage mit drei Punkten:

  • Direktinvestitionen zur Unterstützung der Wirtschaft
  • Schaffung von Arbeitsplätzen
  • Unterstützung der Menschenwürde

Al-Mousllie konkretisierte diese Aussagen nochmals:

  • Unterstützung der 5000 schwarz-afrikanischen Flüchtlinge an der lybisch-tunesischen Grenze zur Entlastung des tunesischen Staats
  • Unbürokratische Aufnahme von syrischen Flüchtlingen
  • Medizinische Versorgung von syrischen verletzten Flüchtlingen in Deutschland

Daraufhin berichtete Löning vom jüngsten Beschluss des deutschen Innenministeriums 900 der 5.000 oben erwähnten Flüchtlinge in den nächsten drei Jahren aufnehmen. Al-Mousllie wünschte sich darüber hinaus, die Einrichtung humanitärer Korridore und Sicherheitszonen im umkämpften Gebiet sowie die Übersendung von elektronischen Geräten (wie Mobiltelefone), damit syrische Aktivisten die Geschehnisse vor Ort filmen und verbreiten könnten.

Es sind also relativ einfach Dinge, die getan werden können, um die notleidenden Menschen vor Ort zu unterstützen. Schade finde ich, dass für mein Empfinden wieder einmal die Gelegenheit verpasst wurde, mehr über die Lebensumstände und die Motive der Menschen in den umkämpften Gebieten zu erfahren und sinnvolle Zukunftswege zu diskutieren anstatt in den althergebrachten Stereotypen vom radikalen Islam verhaftet zu bleiben.

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