Corona-Tagebuch: Blütengrund und Schlosszauber

Christina/ November 26, 2020/ Alltagsgeschichten, Kultur

Es ist kalt draußen, sehr kalt. Das Thermometer zeigt gerade einmal -1 Grad. Der Raureif auf dem Rasen und den Bäumen lässt erste Weihnachtsgefühle entstehen. Die Sonne strahlt von einem stahlblauen Himmel und lockt mich in die Natur. Dick verpackt mit langer Unterhose und langem Unterhemd geht es auf die Piste. Die Luft ist herrlich klar, die Landschaft sonnendurchflutet. Nicht lange nachdenken, sondern einfach starten, denke ich. Vielleicht ist das einer der wirklich letzten, schönen Tage in diesem Jahr. Ich weiß bereits jetzt, dass ich diesen Tag ausgiebig genießen werde. Mein Ziel ist die Burg Neuenburg bei Freyburg, die große Burg des Thüringer Landgrafen und einst Zentrum mittelalterlich-höfischer Kultur.

Raureifgeküsste Landschaft
Für meinen Hinweg wähle ich den Saale-Radweg. Der Raureif tropft von den Bäumen. Die Sonne gewinnt an Kraft. Die klare Luft lässt mich tief durchatmen. In der Saale spiegeln sich die Bäume, die Weinberge und die Häuser am Wegesrand. An der Fischhaus-Brücke mache ich einen ersten Halt. Ich lasse die Umgebung auf mich wirken. Auf der Brücke glitzert der Raureif. Erneut locken mich die Weinberge mit ihren herrlichen Herbstfarben und Weinhäuschen.

Ich erreiche Naumburg und überquere die Brücke nach Roßbach. Von dort geht es weiter auf dem Saale-Radweg nach Großjena. Im Blütengrund entdecke ich den Hinweis zum Max Klinger Haus. Oh, das Schild ziert das Emblem des UNESCO-Weltkulturerbes. Dann muss das Gebäude wohl etwas Besonderes sein. Da meine Zeit allerdings knapp ist, entscheide ich mich dazu, zunächst zum Schloss Neuenburg weiterzufahren.

Ein Märchenschloss auf dem Weinberg
Als ich Freyburg erreiche muss ich zunächst nach Luft schnappen, nicht, weil der Radweg so anstrengend ist, sondern weil die Umgebung so schön ist und ich gar nicht weiß, wo ich zuerst hinschauen soll. Zunächst lichte ich das Schloss von unten ab, dann fesseln die Weingüter meinen Blick und ja ich gebe es zu, das „Glühwein-vom-Winzer“-Angebot klingt schon sehr verlockend. Das klingt für mich nach einem sehr lohnenden Ziel für das Wochenende, zumal der Weinlehrpfad Saale-Unstrut durch eben dieses Gebiet verläuft. Da ist ein Glühwein als après-Wanderung genau das Richtige.

Aber zunächst möchte ich das Schloss erklimmen. Nur wie? Ich sehe Wanderwege, die nach oben führen, aber keinen Radweg. Schließlich spreche ich eine einheimische Dame an und erkundige mich nach den Möglichkeiten zur Burg zu kommen. Mit dem Rad sei das schwierig, verrät mir die Frau. Selbst mit einem E-Bike sei der Weg zu steil. Allerdings räumt sie ein, gebe es eine Art Feldweg auf dem ich es versuchen könnte, der wäre nicht ganz so steil. Sie würde auch immer diesen Weg wählen.

Ich drehe also um und mache mich auf die Suche nach diesem Weg. Auf den zweiten Blick finde ich einen asphaltierten Zugang zur Burg. Oh ja, der hat es definitiv in sich. Gleich zu Beginn des Aufstiegs komme ich ins Schwitzen. Okay, das wird nichts, da werde ich ein Stück schieben müssen. Für ca. einen Kilometer rollt mein Drahtesel neben mir. Dann ist es geschafft, den Rest kann ich fahren.

Die Bestie von Neuenburg
Als erstes sticht mir der Bergfried ins Auge, ein mächtiger dickbäuchiger Turm – auch “dicker Wilhelm” genannt, der leider geschlossen ist. Ein kurzes Stück später stehe ich vor den Toren der Burg. Wow, das ist mal ein Gelände. Ich will gerade ansetzen und mir die Anlage näher anschauen, da vernehme ich ein Knurren und Bellen eines größeren Hundes. Mist. Ich kann leider nicht sehen, ob der Hund angekettet ist oder frei herumläuft. Eigentlich möchte ich keinen Biss riskieren, aber unverrichteter Dinge wieder abziehen möchte ich auch nicht. Also schaue ich mir erst einmal den Bergfried an, um Zeit zu gewinnen. Eine gute Strategie wie sich gleich herausstellt.

Als ich zurück gehe sehe ich Menschen an dem Hund vorbeigehen. Nichts passiert. Aha denke ich, wenn die unbehelligt passieren können, dann kann ich das auch. So schlendere ich zum Eingang der Burg. Vor mir entfalten sich sowohl eine schöne Burganlage als auch ein herrliches Panorama über Freyburg. Ich bin überwältigt, mein Herz tanzt. Den Ausblick genieße ich ausgiebig und laufe noch ein wenig um die Burg herum. Leider drängt die Zeit ein wenig, sodass ich den Rückweg antrete.

Der Max Klinger Weinberg
Auf dem Rückweg gönne ich mir in Großjena-Blütengrund aber noch den kurzen Abstecher zum Max Klinger Haus und Weinberg. Das Gebäude und das Areal sind nicht spektakulär aber durchaus sehenswert, besonders bei dem Sonnenschein, der alles und jeden erstrahlen lässt. Zu sehen sind das Sommerhaus, das Radierhäuschen und die Grabstätte des Grafikers, Malers und Bildhauers Max Klinger. Hier lebte und arbeitete der Leipziger Künstler zeitweilig von 1903 bis zu seinem Tode 1920.

Jetzt muss ich aber wirklich Gas geben. Auf dem Weg nach Roßbach überhole ich einen älteren Herren auf dem Rad. Plötzlich fährt dieser wieder neben mir. Ich erschrecke mich ein wenig. „Sie können doch einen sportlichen älteren Herren wie mich nicht überholen“, sagt er. Ich schaue nur kurz nach links und antworte: „Sie glauben gar nicht, was ich alles kann.“ Dann gebe ich Stoff und kämpfe kurz mit dem Gegenwind. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er ein Abkürzung nimmt, um mich zu überholen. Schließlich radelt er aber geradeaus weiter, ich überquere die Straße, um auf der Weinbergstraße zurück nach Bad Kösen zu fahren.

An den Saalehäusern
Ich wähle den Weinradweg von Roßbach nach Bad Kösen für den Rückweg. Dieser Radweg führt entlang verschiedener Weingüter und lockt zudem mit herrlichen Aus- und Einblicken. Es geht vorbei an den Saalhäusern und dem Landesweingut Kloster Pforta mit seinen Weinbergen und Infotafeln zu verschiedenen Rebsorten. Ich gerate mal wieder ins Schwärmen und wünschte ich hätte noch mehr Zeit, um diesen Tag, diesen Moment noch mehr auszukosten.

Schneller als mir lieb ist bin ich wieder in Bad Kösen. Was für eine besondere Tour an einem außergewöhnlich schönen Herbsttag.

Fun-Fact am Rande: Keine andere Region in Deutschland hat so viele Weinbergshäuschen wie der Freyburger Edelacker.

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