Corona-Tagebuch: Eine Geschichte vom Alkohol und doppelten Sträußchen

Christina/ Juli 5, 2020/ Alltagsgeschichten

Dass auch ein Ausflug ins idyllische Isenbüttel nicht “ohne” sein kann, mussten vor 75 Jahren 400 Russen leidvoll erfahren: diese vergifteten sich im April 1945 mit Methylalkohol. So steht es im “Gifhorner Tagebuch 1945” von Reiner Silberstein. Vielleicht hätten die Iwans sich lieber auf der naheliegenden Straußenfarm die lustigen Vögel anschauen sollen, anstatt zu tief ins Glas – bzw. den Kanister – zu schauen.

Kickboxing mit Straußen
Trotz leichten Regens starten wir an diesem Samstag unsere geplante Fahrradtour an den Tankumsee. Es geht zunächst über das Ringgleis bis nach Bienrode. Dann radeln wir Richtung Flughafen und kommen nach Waggum. Immer dem ausgeschilderten Radweg folgend erreichen wir Meine. Linker Hand sehen wir das Wahrzeichen der Ortschaft: die Mühle. Die eigentliche Überraschung erwartet uns aber ein paar Meter weiter auf der rechen Seite. Zwei Strauße schauen uns neugierig über den Zaun an. Aha, “Chicken Farmer” steht auf einem Schild, das am Eingangstor festgemacht ist.

Es gibt graue und weiße Sträuße, die neugierig und staksig über den Rasen laufen. Lustig, wie sie immer wieder ihren Teleskophals hoch- und reinfahren. Ich staune auch, wie biegsam diese Tiere mit ihrem plump-wirkenden Mittelkörper, ihren dünnen Beinchen und dem langen Hals sind. Ich habe diese Vögel das erste Mal in Südafrika kennengelernt. Die Tiere können bis zu 70 km/h schnell rennen. Ein Kick mit den zarten Füsschen kann zudem einen erwachsenen Menschen umhauen. Also besser Abstand halten – geht auch ohne Maske:-)

Syltgefühl am Elbe-Seitenkanal
Wir reißen uns nur schwerlich von dieser Szenerie los, zumal wir in der Ferne Straußenbabies erspähen. Aber wie heißt es im Schwäbischen so schön: “I han net emol Zeit ghed.” Es geht weiter über Ohnhorst nach Isenbüttel. Wir durchqueren die Ortschaft und erreichen kurze Zeit später unser Ziel: den Tankumsee. Der ehemalige Baggersee wurde zwischenzeitlich zu einem Naherholungsgebiet umfunktioniert. Gaststätten, Hotel, Strandbars, Ferienhäuser und Campingplätze – alles vorhanden.

Wir gönnen uns ein entspanntes Päuschen mit Seeblick. Die anschließende Runde um den See ist natürlich Ehrensache. Zum Schluss statten wir noch dem Deich einen Besuch ab – kurzzeitig fühlt es sich am Elbe-Seitenkanal durch den strammen Wind wie auf Sylt an.

400 Tote durch Methylalkohol
Es geht zurück durch Isenbüttel. Auf der Höhe des Friedhofs, am Ortsausgang, fällt mein Blick auf eine Tafel am Eingang. Wir lernen, dass es in Isenbüttel einen geschichtlichen Wanderweg gibt.

An dieser Stelle erfahren wir auch von dem Unglück, das sich hier wohl vor 75 Jahren, im April 1945, ereignet haben muss. Damals haben russische Soldaten Methylalkohol in Kanistern aus nahegelegenen Güterzügen entwendet. Eine Straftat mit tödlichen Folgen, da sich der Alkohol nach dem Genuss im Körper in hochkonzentrierten Formaldehyd verwandelt und damit mörderisch ist. 400 Soldaten fielen damals diesem Schicksal zum Opfer.

Das doppelte Sträußchen in Meine
Auf dem Rückweg können wir nicht anders als nochmals an der Straußenfarm zu halten. Wir haben Glück, die Straußenbabies sind bis an den Gartenzaun herangerückt und damit in “Fotografierweite”. Aber Vorsicht: Mutti passt ganz genau auf. Wir sind vorsichtig. Langsam vertraut uns die Straußenmutter ein wenig und gibt den Blick auf ihre Jungen frei. Eine ganze Zeit lang erfreuen wir uns an dem Mutter-Kind-Spiel und den tapsigen Gehversuchen der Straußenbabies.

Größtenteils trocken und mit gut 60 Kilometern in den Knochen – zusammen mit einem sehr strammen Gegenwind – erreichen wir am späten Nachmittag glücklich unsere Heimat. Es war ein sehr schöner Ausflug und wir sind froh, dass wir trotz des angesagten Regenwetters die Tour gefahren sind.

Erst zuhause merke ich, dass mir bereits auf dem Hinweg das kuriose Foto mit dem “doppelten Sträußchen” gelungen ist. Das muss natürlich der Posttitel werden.

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