Home.Run: Eine grenzverletzende Familiensaga

Christina/ Februar 22, 2020/ Kultur

Die Kulisse ist gut gewählt. Kaum irgendeine Szenerie dürfte “deutscher” sein als der Kleingartenverein: Kunstrasen, Campingstühle und -tisch, künstliche Blumentöpfe, Thermoskanne und Gartenzwerge. Der Hausherr trägt eine Trainingsjacke mit einer Ziffer auf dem Rücken. Über der Ziffer steht “El-Kurdi”, aber nicht in deutscher sondern in arabischer Schrift. Und auf dem Campingtisch steht weder Schwarzwälder Kirschtorte noch Frankfurter Kranz, nein, es ist Baklava aus Jordanien. Was stimmt hier nicht? Willkommen bei Samir Hartmut El-Kurdi, dem arabischen Hessen.

El-Kurdi gastiert z.Zt. mit seinem Stück “Home.Run” im Braunschweiger Kleinen Haus und performt im sogenannten Aquarium, einem kleinen Raum mit eben der beschriebenen Kleingartenatmosphäre. Im weitesten Sinne geht es dabei um die Familien- und Lebensgeschichte der El-Kurdis. Der Plot wird von recht schrägen Klängen untermalt, die von verschiedenen Instrumenten stammen. El-Kurdi wird dabei von Maria unterstützt. Ob sie etwas mit den El-Kurdis zu tun hat bleibt weitestgehend unklar, ist für den Abend aber auch nicht wirklich von Belang.

Erstaunlich sind auf jeden Fall die Verästelungen der Familie und die Stationen El-Kurdis. Nach dem Krieg geht Hartmuts Mutter zunächst nach England, angelockt durch eine Stellenanzeige. Dort lernt sie ihren späteren Ehemann kennen, Mahmoud El-Kurdi, einen jordanischen Angehörigen der Arabischen Legion. Diesem folgt sie 1952 sehr mutig nach Jordanien. Nach einer 12-tägigen Schiffsreise, die sie als die zwölf schönsten Tage ihres Lebens beschreibt, kommt sie in ihrer neuen Heimat an und heiratet in einer arabische Großfamilie ein.

Schräge Töne und Geschichten
El-Kurdi gelingt es, die ganze Geschichte sehr kurzweilig zu erzählen, mit historischen Bildaufnahme, einer Erzählstimme aus dem Off und musikalischer Untermalung, von famiiären Histörchen mal ganz abgesehen. Wir lernen etwas über arabische Mentalität, über deutsch Mentaliät, darüber, wo die Tscherkessen herkommen, nämlich aus dem Kaukasus. Warum Tscherkessen? Nun, Hartmuts Großmutter väterlicherseits war Tscherkessin, die ebenfalls auf recht abenteuerliche Weise zunächst auf den Golan-Höhen und dann in Jerash (Jordanien) landet. Dort heiratet sie ihren kurdischen Mann, nachdem sie zuvor aus ihrer ersten Ehe geflohen war, da sie in der Hochzeitsnacht nicht wie erwartet geblutet hatte. Ein Umstand, der damit gleichgesetzt wird, nicht mehr jungfräulich zu sein.

Recht amüsant wird es wieder mit einer kleinen Anekdote, dass Hartmuts Opa väterlicherseits sich neben einem Anzugoutfit mit Blume im Knopfloch auch gerne im Ausgeh-Pyjama in seinem Revier zeigt.

Nach zwölf Jahren Jordanien und vier Jahren in Großbritannien als Diplomatenfamilie landet El-Kurdi mit seiner Mutter, die inzwischen von ihrem Mann geschieden ist, im hessischen Vogelsberg. Allerdings sind weder Hartmut noch seine Mutter zu der Zeit deutsche Staatsangehörige und müssen so die Einbürgerung beantragen, was unter recht skurrilen Vorzeichen schließlich auch gelingt. Zuvor jedoch ist ein mündlicher und schriftlicher Test zu leisten, obwohl sich beide in perfektem Deutsch mit dem zuständigen Beamten unterhalten.

Mit Wehmut denke ich sn Jordanien
Es ist die wechselvolle Geschichte El-Kurdis, die den Zuschauer beeindruckt. Das nicht nur, weil sie hochspannend ist, sondern weil sie mit so viel Verve, Humor und Sachverstand und immer mit einer Prise Selbstironie vorgetragen wird. Ich selbst fühle mich bei den Bildern aus Jordanien an meine eigene Zeit dort versetzt und denke wehmütig an dieses schöne Jahr zurück, das ich in Amman und Umgebung verbringen durfte. Damals vor Ort war mir schon aufgefallen, wie weit verzweigt viele arabische Familien sind. Oftmals traf ich Jordanier mit Familienangehörigen in den USA, in Kanada, England oder auch Deutschland. Ohne die jeweiligen Geschichten dahinter zu kennen, war ich schon immer ein wenig neidisch auf diese Familenbanden, dacht ich doch an all die Reise- und Unterkunftsmöglichkeiten, die sich dadurch ergeben.

Mein Fazit: Respekt!
Nach einer Stunde und zwanzig Minuten ist der deutsche Abend mit orientalischem Flair vorbei. Ich mach noch ein paar Fotos von El-Kurdis Familienbildern. Die Aufführung wird mir sicherlich noch länger im Gedächtnis bleiben. Dies zum einen, weil sie bei mir schöne Erinnerungen an meine Zeit im arabischen Ausland geweckt hat und zum anderen, weil ich den Umgang der El-Kurdis mit ihrer wechselvollen Geschichte bewundere.

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