Historischer Dorfrundgang in Timmerlah
Wer heute durch den Braunschweiger Stadtteil Timmerlah geht oder radelt wird kaum darauf kommen, welch wechselhafte Geschichte das ehemalige Dorf hinter sich hat. Der Arbeitskreis Andere Geschichte e.V. bietet heute in einem seiner Braunschweiger Spaziergänge einen Rundgang durch die Historie der Ortschaft an. Mit großen Engagement und viel Herzblut erzählen Stadtheimatpfleger Bernd Aumann und Erdmute Trustorff, ehemalige Gymnasiallehrerin, von „ihrem“ Dorf und dessen Vergangenheit.
Arbeitersportverein „Frisch Auf“
Im Jahr 1920 gründen Timmerlaher Bürger den Arbeitersportverein „Frisch Auf“. Zunächst wird hier nur geturnt. Wobei nur geturnt heißt, dass man vor Ort keinen Möglichkeit hatte, Geräte unterzustellen. D.h. sämtliche Turngeräte mussten für jedes Training durch den halben Ort zum Sportplatz getragen werden. 1925 nahmen Timmerlaher sogar an der Arbeiterolympiade in Frankfurt teil.
Stadtheimatpfleger Aumann erläutert die Entstehung des Namens „Frisch Auf“. Dieser stamme wohl von schweizer und deutschen Radfahrer, die diesen Slogan als Anspurn für Fahrten bergauf verwendet hätten. Eine weitere Anekdote lässt uns wissen, dass Fußball seinerzeit zunächst wahlweise als „Englische Krankheit“ oder als „Fußlümmelei“ bezeichnet wurde.
Zeitenwende 1933
Am 4.9.1933 soll es in der Zeitung gestanden haben, das Verbot für kommunistische und marxistische Organisationen. Das bedeutete zunächst das Ende des Arbeitersportvereins. Drei Jahre später wurde am heutigen Timmerlaher Busch ein Kleinkaliberverein gegründet. Im Jahr 1939 fand hier noch ein feucht-fröhliches Schützenfest statt.
Nur kurze Zeit später verwandelte sich das Gelände von einer Feierwiese zu einer Abwehranlage. Timmerlah, so erzählt es Aumann, wurde während des Zweiten Weltkrieges stark in Mitleidenschaft gezogen. Man könne wohl noch heute Bombenkrater im Timmerlaher Busch entdecken.
Pastor Georg Althaus
Unser nächste Station führt uns zum mutigen Pastor Georg Althaus. Geboren 1898 in Tansania war er von 1933 bis 1957 Pastor in Timmerlah, Broitzem und Sonnenberg. Als er seinen Konfirmanden den Hitlergruß im Pfarrhaus untersagte, kam er in Schwierigkeiten. Als er sich dann auch noch für Juden einsetzte wurde er zunächst verprügelt, dann vom Dienst suspendiert und schließlich für sechs Monate ins Gefängnis gesteckt. Aufgrund des Einsatzes Timmerlaher Bürger für ihn, konnte er das Gefängnis nach neun Wochen verlassen, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Nach dem Krieg setzte er sich dafür ein, dass sich die Kirche ihrer Verantwortung und Rolle während der Nazi-Zeit stellen solle. Daraufhin lobte man Althaus weg.
Friedrich Wilhelm (von) Cramm
Wir machen Station am ehemaligen Bauernhof von Friedrich Wilhelm (von) Cramm. Seit dem Herbst 1905 lebte Cramm als selbstständiger Landwirt in Timmerlah. Er hatte eingeheiratet, so formuliert es jedenfalls Aumann. Ich kann nicht anders und muss unwillkürlich an den Film „No Country for old men“ denken und die legendäre Szene zwischen Anton Chigurh (dem Berufskiller) und dem Tankstellenbesitzer, der ebenfalls eingeheiratet hatte:
Tankstellenwart: Das Grundstück hat ursprünglich dem Vater meiner Frau gehört.
Anton Chigurh: Sie haben eingeheiratet?
Tankstellenwart: Wir haben sehr viele jahre in Temple gewohnt, in Texas, haben eine Familie gegründet in Temple
und sind vor ungefähr vier Jahren hier her gezogen.
Anton Chigurh: Sie haben eingeheiratet?!
Tankstellenwart: Naja wenn Sie es so sehen wollen
Anton Chigurh: Nein, ich muss es nicht irgendwie sehen. Es ist ganz einfach so!
Von Cramm war von 1920-24 im Landtag vertreten und danach im Reichstag. Nach 1930 hat er sich nicht mehr aufstellen lassen. 1974 wurde Timmerlah Braunschweig eingemeindet.
Von Hexenverfolgung und Zwangsarbeit
Der zweite Teil des Dorfrundgangs wird von Erdmute Trustorff gestaltet. Wir gehen zur Zwiebelturmkirche von Timmerlah und dem dazugehörigen Friedhof. Hier kommen wir mit zwei Gräbern von Zwangsarbeitern in Berührung. Es sind die Gräber der Ukrainerin Christa Gamrezka und des Polen Wladyslaw Pistrowski. Gamrezka, so erzählt es Trustorff, sei verblutet, vermutlich bei einer Abtreibung nach einer Vergewaltigung. Pistrowski wiederum hätte sich nach dem Krieg buchstäblich zu Tode gesoffen.
Ein zweiter Haltepunkt auf dem Friedhof ist die Hexenverfolgung. 1613 sind zwei Frauen aus Timmerlah, Lucie und Grete Hildendag ihre Namen, dieser zum Opfer gefallen und wurden im Lechlumer Holz als Hexen verbrannt. Der 30-jährige Krieg, so erklärt uns Trustorff weiter, sei der Höhepunkt der Hexenverfolgung gewesen. Jeder hätte jeden angezeigt, meist zum eigenen Vorteil. Zwischen 80.000 bis 2.000.000 Menschen seien Opfer des barbarischen Treibens geworden. 1780 kam es zum letzten Hexentod in Deutschland.
Der Zwiebelturm von Timmerlah
Zum Schluss gehen wir noch in die Kirche von Timmerlah, deren herausragendstes Element der Zwiebelturm ist. Wie es zu diesem gekommen sei, darüber ranken sich wohl verschiedene Geschichten. Von einer russischen Fürstin sei hier unter anderem die Rede.
Im Inneren der Kirche ist das Deckengemälde von Enrico Pelligrino aus Kassel die Hauptattraktion. Mehr als vier Jahre hat es bis zur Umsetzung gedauert. Nun präsentiert sich die Zwiebelturmkirche Timmerlah im Innern völlig neu. Und bietet an der Decke ein riesiges zeitgenössisches Kunstwerk, das allein angesichts der Dimension etwas ganz Besonderes ist. Das Gemälde zeigt sieben Bilder zu eschatologischen Bibeltexten in Form eines Kreuzes. Die Bilder sind verbunden mit der Mitte, die einen Himmel zeigt. Dort sind Spiegel angebracht. So wird der Betrachter unten sich selbst im Himmel entdecken, so die Idee.