Im Oderwald: Wo die Särge Bärte tragen

Christina/ September 5, 2021/ Alltagsgeschichten

Dass der Oderwald nichts für schwache Nerven ist, hatte ich bereits an dieser Stelle konstatiert. Dieser Eindruck hat sich heute manifestiert. An diesem Sonntag haben wir einer Tour rund um den Hungerberg ins Auge gefasst, der höchsten Erhebung im Oderwald. Wir haben da so eine Idee, wie der Hügel zu seinem Namen gekommen ist. Allerdings, dass am Eingang zum Forst sargartige Holzkisten stehen mit bürstenartigen Bärten auf den Köpfen hat uns dann doch verwundert. Hier stellt sich die Frage: Tragen die Särge im Oderwald Bärte?

Wer kennt den Weißen Weg?
Unser Auto stellen wir auf dem Parkplatz Oderwald ab, der sich zwischen WF-Halchter und Adersheim befindet. Von dort geht es gleich nach links in den Wald. Wir folgen dem Schild “Breiter Weg”. Ich bin skeptisch, ob es auf dem Weg noch weitere Ausschilderungen gibt. Der Oderwald zeigt sich diesbezüglich ja eher geizig. Nach einem kurzen Stück gehen wir linkerhand am Posteichenweg vorbei. Nanu, denke ich, noch ein Schild? Gibt es neuerdings Markierungen? Naja, zu früh gefreut. Erst lockt einen der Wald ins Innere, dann lässt er seine Besucher aber schnell links liegen. Wir sind auf der Suche nach dem “Weißen Weg” können aber nirgends einen Hinweis entdecken. Vor uns erblicken wir eine Gruppe eifriger Frühsportlerinnen beim Aufwärmtraining. Ah, die schnappen wir uns. Bevor wir die Damen eingeholt haben kommt uns zunächst ein Paar entgegen. Da versuche ich gleich mal mein Glück. Ich frage zunächst nach dem Weißen Weg. Ich ernte ein Schulterzucken. Dann versuche ich es mit dem Hungerberg. Diesmal bekomme ich ein verschämtes Lächeln. “Nee, den kennen wir nicht.”

Wir holen die Gymnastiktruppe an der nächsten Kreuzung ein. Die Gruppe hat sich auf einem umweltgerechten Rastplatz eingefunden und dehnt nun die aufgewärmten Glieder. Ich versuche es nochmals und stelle wiederum meine beiden Fragen. Den weißen Weg kennt wieder niemand, vom Hungerberg jedoch meint man eine Ahnung zu haben. “Ja, da können Sie jetzt geradeaus und dann rechts gehen oder Sie gehen hier gleich rechts Richtung Leinde.” Irgendwie will sich bei uns kein Gefühl der rechten Orientierung einstellen. Da ich den Weg nach Leinde bzw. Cramme noch vom Radfahren kenne, gehen wir schließlich an der Kreuzung nach rechts.

Ungewollte Auskunft
Unterwegs treffen wir ein weiteres Paar, aber auch hier bringt die Fragerei kein eindeutiges Ergebnis. Der Hungerberg scheint also ein echter Geheimtipp zu sein. Damit die Runde nicht allzu sehr ausartet entschließen wir uns dazu, an der nächsten Kreuzung nach links zu gehen. Ein Mann mit Nordic-Walking Stöcken kommt uns entgegen. Der kennt sich bestimmt aus, denke ich. Ich spreche den Herrn an. Der Mann bleibt stehen, lächelt und mustert uns abschätzend. Der Hungerberg? Ja den kennt er. “Da ist aber nicht viel zu sehen. Ich war da mal, weil ich dachte, da gebe es eine Aussichtsplattform, da ist aber keine.” Ach, vielen Dank für die Information, nach der ich gar nicht gefragt hatte. Er versucht nochmals uns in ein Gespräch zu verwickeln, realisiert dann aber wohl, dass wir nicht interessiert sind. Schließlich lässt er uns wissen, dass wir zunächst in Schlangenlinien geradeaus gehen müssten, dann erst rechts und anschließend links. Dann käme eine Lichtung, da müssten wir am Waldrand entlang gehen und dann käme irgendwann der Hungerberg.

Wir nehmen das erstmal so hin und gehen weiter. Als wir ein zweites Mal unter der Autobahnbrücke entlang gehen sehen wir vor uns drei Männer, sechs Hunde, ein Auto und einen Eimer voller alter Brötchen und Brote. Ich stelle wieder meine üblichen Fragen. Man(n) scheint ortskundig zu sein. Zunächst ernten wir mal wieder ein süffisantes Lächeln, dann scheint die Männerrunde uns aber ernst zu nehmen. Wir sollen einfach Richtung Süden gehen, an der nächsten Kreuzung rechts und dann immer geradeaus. Na, das klingt nicht allzu schwer. Nach meiner Information müssten wir irgendwann auf das Denkmal vom Forstwirt Alfred Hampel treffen. Die Lichtung erwischen wir tatsächlich und sind noch frohen Mutes. Als die Gedenkstätte aber einfach nicht kommen will, wird uns doch etwas mulmig. Was, wenn wir uns hier verlaufen? Ich wusste ja noch von meiner letzten Tour wie schnell das hier geht. Aber, noch ist es hell, noch ist es warm, noch haben wir Proviant dabei. Wir gehen also mutig weiter. Nach einer ganzen Weile kommt uns ein älterer Herr auf einem Fahrrad entgegen. Ich frage den Mann, ob wir auf diesem Weg zum Parkplatz Oderwald kommen. Ich gebe zu, dass ich schon ein Stück erleichtert bin als er uns sagt, dass wir auf dem richtigen Pfad sind. “Aber gehen Sie an der Kreuzung bloß nicht nach rechts. Das habe ich nämlich beim letzten Mal gemacht und der Weg hat einfach aufgehört.”

Pflanzenkunde to go
Wir danken für den wertvollen Tipp und wünschen dem Herrn noch einen schönen Sonntag. Zuversichtlich und ganz mit uns zufrieden laufen wir weiter Richtung Parkplatz. Plötzlich sehen wir vor uns eine Brücke, die über die Autobahn führt. Ach ja, eigentlich wäre das unser Hinweg gewesen. Wir erreichen das Ende des Forsts und gehen nun am Waldrand entlang. Hier haben wir einen schönen Blick auf den Salzgitter-Höhenzug. Mithilfe meiner Pflanzenbestimmungsapp identifizieren wir einen Schopftintling, der angeblich eine Delikatesse sein soll. Unterwegs machen wir zudem Bekanntschaft mit dem Wachholder-Widertonmoos, ein paar Ringelblumen, Platterbsen und dem drüsigen Springkraut.

Einige Zeit später kommen wir auch an der Schutzhütte FG Cramme vorbei, die auch keiner kannte. So schließt sich der Kreis. Nun glauben wir uns bereits auf der Zielgraden. Nun ja, diese Gewissheit hält genau so lange, bis hinter uns ein Auto auftaucht, der Fahrer das Fenster herunterkurbelt und sagt: “Ach, geht ihr im Kreis?” Wir gucken uns verwundert an, das ist doch einer der Männer mit Hund, die wir an der Autobrücke getroffen haben. Sag bloß, wir sind gar nicht da wo wir dachten? Wir machen gute Miene zum bösen Spiel und lächeln die Frage einfach weg.

Als wir besagte Autobahnbrücke wieder erreichen kommt uns zum Glück ein weiteres, diesmal ortskundiges Paar entgegen. Wir fragen nach dem Parkplatz Oderwald und bekommen eine sehr genaue Beschreibung des Weges. Noch sind wir etwas unsicher, ob der Weg richtig ist. Als wir aber erneut den umweltgerechten Rastplatz erreichen, den die Frühsporttruppe für sich genutzt hatte, sind wir erleichtert. Jetzt wissen wir es genau, wir sind auf dem richtigen Weg. Nun ist es nur noch ein Katzensprung zum Auto. Was für einen Gefühl, wir haben den Oderwald bezwungen. Und zum Glück mussten wir nicht auf dem Hungerberg darben oder gar die Nacht verbringen und nähere Bekanntschaft mit den Särgen mit Bärten machen.

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