Das Ende der Wahrheit

Christina/ Mai 22, 2019/ Kultur

Auf dem Programm steht eine BZ-Premiere im C1-Kino. Es ist Montagabend und draußen gießt es in Strömen. Die Verlockung ist sehr gering, die Wohnung nochmals zu verlassen. Und trotzdem, der Genre-Thriller eines Braunschweiger Regisseurs führt mich in Versuchung: Das Ende der Wahrheit. Zeitgleich bekomme ich ein Zeichen aus dem Fernsehprogramm: „Kulturzeit“ auf 3SAT empfiehlt den Film als sehenswert. Okay, dann heißt es jetzt Zähne zusammenbeißen und durch den Regen radeln. Aber so viel sei bereits verraten: Es hat sich gelohnt und nicht nur, weil sowohl der Regisseur, Philipp Leinemann, als auch seine Hauptdarsteller, Ronald Zehrfeld und Antje Traue, an diesem Tag vor Ort sind.

Der Deutsche Filmpreis für die beste Nebenrolle

Sicherlich ist Leinemanns Werk nicht das erste seiner Art, das dem Zuschauer das schmutzige Geheimdienst-Geschäft in all seinen Auswüchsen und Verstrickungen vor Augen führt. Ich denke da an Filme wie „Der Mann, der niemals lebte“, „Syriana“, „Good Kill“ oder der britischen Serie „Eine Frau an der Front“. Dem Regisseur ist es aber gelungen, für seinen Film einen hochkarätigen Cast zu vereinen. Hier fällt besonders Alexander Fehlinger in seiner Rolle als „Muster-Beamter“ (Patrick Lemke) auf, der meint die Karriereleiter hochzufallen und mittendrin bemerkt, dass er doch nur „Mittel zum Zweck“ ist. Im anschließenden Gespräch zum Film erklärt Leinemann dann, dass Fehlinger die Rolle für sich interpretiert und ausgebaut hat. Ein ziemlicher Geniestreich, für den er völlig zu Recht den Deutschen Filmpreis für die beste männliche Nebenrolle erhalten hat.

Vom Saulus zum Paulus?

Kurz zum Plot: Der BND-Beamte Martin Behrens ist Experte für Zentralasien. Er hat viel Zeit im Ausland verbracht, spricht Farsi und Urdu. Seine Ehe, so kann man sich denken, ist an seiner Arbeit gescheitert. Liiert ist er nun mit der Journalistin Aurice Köhler. Sein Business ist das Sammeln von geheimen Informationen; Informationen, die andere Menschen in Bedrängnis bringen, oftmals ihr Leben kosten. Als seine Freundin Opfer einer Racheaktion wird, die aus einer solchen Informationsweitergabe rührt, beginnt Behrens selbst Nachforschungen anzustellen. Was er ans Tageslicht bringt, sind Lügen, Verschwörungen und die Gier nach Macht und Geld, die über Leichen geht.
Bei seinen Recherchen erkennt der Protagonist nach und nach, dass er Teil dieses Machtapparates ist und diesen mit seiner Arbeit unterstützt, was in aller Konsequenz heißt, dass auch er Schuld ist am Tod seiner Freundin. Im Endeffekt ist der Preis für die Wahrheit der Verlust seines gesamten Lebenskonzeptes: Freundin tot, Ehefrau weg, Tochter geht auf Abstand, kein Job, keine Illusionen mehr, keine Zuversicht. Der Zuschauer ahnt bereits, das kann nicht gut für Behrens ausgehen. Und so ist es dann auch, vielleicht weil aus Behrens Sicht nichts mehr bleibt, für das es sich zu leben lohnt.

Das Ganze ist spannend gemacht und dazu noch hochaktuell, wenn wir an die jüngsten Geschehnisse in Syrien, in Saudi-Arabien und zuletzt in Österreich denken. Und doch bleibt der Zuschauer seltsam unberührt zurück, weil er sich mit Martin Behrens nicht identifizieren kann. Vielleicht, weil er kein sympathischer Charakter ist, wenn er den Geburtstag seiner Tochter einem Geheimdienstmeeting unterordnet oder seine Freundin niedermacht, weil diese ihn, gegen eine Absprache, im beruflichen Kontext aufsucht. Für mich macht der Protagonist keine wirkliche Wandlung durch. Im Gegensatz zu seinem Antagonisten, Patrick Lemke (Alexander Fehling). Der Krisenstableiter Lemke beginnt den Film als Beamter mit „Stock im Arsch“ und verlässt diesen desillusioniert auf dem Schlachtfeld in Zahiristan, von einer Bombe zerfetzt. Behrens dagegen übersteht alles, fast wie eine Zeichentrickfigur von Disney, die in einer Szene ihr gesamtes Federkleid verliert, nur um dieses in der nächsten Aufnahme wieder zu tragen.

Ein schmutziges Geschäft

Nun, bleibt aber die Frage: Was macht an dieser Geschichte dem Zuschauer wirklich Angst. Dass sich alles so realistisch anfühlt? Dass die Wirklichkeit so brutal und machtgeil ist? Oder ist es nur die Zerstörung einer Illusion, dass „Krieg gegen den Terrorismus“ unter Anwendung aller Mittel doch nicht gerecht ist? Und dass die Vertreter der westlichen Demokratie doch nicht so nobel sind und so hehre Absichten verfolgen, wie sie uns immer glauben machen wollen?

Die Frage ist doch, vom Ende welcher Wahrheit sprechen wir hier? Von der Wahrheit, dass wir die Guten sind und die anderen die Bösen? Oder davon, dass die Gier der Abgrund ist und damit eine universelle Wahrheit? Aber die wäre ja nicht zu Ende …

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