Uli, der Engel von Westerham

Christina/ Juni 5, 2023/ Alltagsgeschichten

Ich kann es leider nicht anders sagen: Das Fahren mit der Deutschen Bahn ist eine Tortur. Das Preis-
Leistungs-Verhältnis ist unterirdisch, die Zuverlässigkeit der Verbindungen eine Zumutung. Wir
hatten uns noch nicht von der zehnstündigen Odyssee auf der Hinfahrt erholt, da schafft es die Bahn
doch tatsächlich, das katastrophale Erlebnis von der Hinfahrt noch zu toppen. Nur dank unserem
Engel „Uli“ findet die Rückfahrt noch ein glückliches Ende.

Keine Zugbegleitung in Sicht
Als ich am Sonntagmittag am Braunschweiger Bahnhof ankomme, sehe ich bereits am Gesicht meiner
Kollegin, dass es wieder einmal Probleme mit der Zugverbindung gibt. Die DB-App auf ihrem Handy
ist bereits geöffnet. Die wird auf dieser Reise auch nicht mehr geschlossen werden. Wir starten also
an unserem Heimatbahnhof bereits mit einer Verspätung von 10 Minuten. Noch mache ich mir keine
Sorgen. Ziemlich naiv von mir, wie sich später herausstellt. Am Startbahnhof empfiehlt man uns
noch, im Zug beim Schaffner zu erfragen, ob wir unseren Anschluss in Halle noch erreichen. Im
Prinzip keine schlechte Idee, nur: wir bekommen wir während der Fahrt keine Zugbegleitung zu
Gesicht.

Wieder bleibt nur der Blick auf die DB-App. An dieser Stelle haben wir noch Glück. Eine halbe Stunde
nach unserem eigentlichen ICE fährt ein weiterer nach München. Durch unsere Verspätung müssen
wir noch nicht einmal lange warten. Das Problem ist allerdings, dass dieser Zug in die bayrische
Metropole eine andere Strecke fährt als wir ursprünglich gebucht hatten und wir viel länger als
geplant unterwegs sind – Fun Fact am Rande: Auf dem Sitz schräg gegenüber sitzt Hazel Brugger, bekannt aus Funk und
Fernsehen😊 -. Somit ist der komplette Reiseplan hinfällig. Also, es erfolgt wieder der Blick
auf die DB-App. Und da droht noch mehr Ungemach. Die S-Bahn von München nach Westerham fällt
wegen einer Baustelle bei Holzkirchen heute komplett aus. Und jetzt? Ein Blick zur digitalen Auskunft
sagt uns, dass wir von München zunächst nach Rosenheim (also an Westerham vorbei) fahren
müssen, um dort den Zug zurück nach Westerham zu nehmen. In München angekommen hetzen wir
zum Regionalzug auf Gleis 10. Oh, der Bahnsteig ist aber mächtig voll.

Rosenheim, Aibling oder Salzburg?
Als wir erwartungsvoll am Bahnsteig stehen, kommt eine Durchsage, die uns nun vollends aus dem
Konzept bringt. Die Lautsprecherdurchsage lässt uns wissen, dass dieser Zug heute dreigeteilt sei: Ein
Teil fährt nach Rosenheim, ein Teil nach Aibling und ein Teil nach Salzburg. Leider wird nicht deutlich,
welcher Teil wohin fährt, denn auf allen Waggons steht „Salzburg“. Der Fatalismus hat von uns Besitz
ergriffen. Wir steigen einfach in den Zug und hoffen das Beste. Ja, zu früh gefreut. Auch dieser Zug
verlässt den Bahnhof bereits mit einer Verspätung von 15 Minuten. Damit ist unser Anschluss in
Rosenheim passé. Da dürfen wir uns wohl für eine weitere Stunden auf dem Rosenheimer Bahnhof
vergnügen.

Als der Zug endlich abfährt, herrscht immer noch große Verwirrung in den Abteilen. Niemand hat
verstanden, welcher Zugteil welchem Ziel gewidmet ist. Die genervte Stimme des Zugführers, die bei
jedem Halt durch die Lautsprecher rauscht bestätigt diesen Eindruck. Als wir Rosenheim dann
schließlich erreichen, hat unser Anschluss Richtung Westerham bereits den Bahnhof verlassen – wie
vermutet. Völlig übermüdet und genervt schleppen wir uns zum nächsten McDonald’s. Über
Touchpads bestellen wir uns Kaffee und Essen. Die Zeit bis zum nächsten Zug kriegen wir auch noch
irgendwie rum. Mittlerweile ist es 21:10 Uhr, um 12:30 Uhr waren wir in Braunschweig gestartet.
Um 21:40 Uhr geht es endlich für uns weiter. Wir erreichen ohne weitere Zwischenfälle unsere
Endstation, den kleinen Bahnhof von Westerham. Faszinierend. Hier treffen wir auf eine weitere
verirrte Seele, die sich ebenfalls über mehrere Stunden von Frankfurt in die bayrische Provinz
geschlagen hatte. Was für ein Tag. Völlig übermüdet lande ich schließlich kurz nach 23 Uhr im Bett.

Und täglich grüßt das Murmeltier?
Dienstagmittag treten wir die Rückreise nach Braunschweig an. Besser gesagt, wir haben es
zumindest vor. Als wir zu fünft am Bahnhof Westerham eintreffen, freuen wir uns noch über die
Statusmeldung auf der DB-App, die uns sagt, dass es derzeit keine Störungen gebe. Unsere
Jubelschreie sind noch nicht verhallt als eine der Kollegin sagt: „Der Zug fällt aus.“ Wir halten das
zunächst für einen Scherz und lachen. Als dann allerdings die offizielle Durchsage kommt, dass der
Zug tatsächlich ausfällt, vergeht uns das Lachen. Stattdessen macht sich Panik auf unseren Gesichtern
breit. Was jetzt? „Wir rufen ein Taxi“, schlägt eine vor. Klar, gute Idee. Denkste. Wir rufen
nacheinander drei Taxiunternehmen an und erhalten – genau – drei Absagen. Keiner hat Lust nach
Westerham zu kommen und uns dort abzuholen. Wir können es nicht glauben. Wir rufen beim
Tagungsort an und bitten dort um Hilfe. Hier erhalten wir die Aussage, dass man uns auch nicht
weiterhelfen könne, weil man voraussichtlich dieselbe Aussage bekäme. Unfassbar.

Meine Kollegin stürmt in den Bahnhofskiosk und erzählt dem Besitzer von unseren Problemen. Der
freundliche Herr hat zum Glück ein offenes Ohr und ruft eine Bekannte an, die bei einem
Taxiunternehmen arbeitet. Beim ersten Anruf klappt es noch nicht, beim zweiten Versuch bekommt
er aber die Zusage, dass ein Fahrer in einer halben Stunde vor Ort sei. Oh, das wird knapp. Unser Zug
fährt um 14:56 Uhr ab München Hbf und der Fahrer wird erst um 14 Uhr hier sein. Die Nervosität
steigert sich fast ins Hysterische. Alle wollen nach Hause. Kurz nach 14 Uhr ist Uli da. So heißt unser
Taxi-Engel, der nicht nur die richtige bayrische Gemütlichkeit ausstrahlt, die wir jetzt brauchen,
sondern auch die Zuversicht, dass wir unseren Zug erreichen.

Vier Damen auf dem Rücksitz
Unser Gepäck passt gerade so in den Kofferraum, auf dem Rücksitz allerdings, da wird es sehr eng. Zu
dritt hätten wir wohl gut sitzen können, aber die vierte Person muss auf den Schoß. Dürfen wir so
überhaupt losfahren? Für solche Überlegungen ist nun aber keine Zeit mehr. Uli legt los und das mit
Volldampf. Wir schweben geradezu über die Autobahn. Wir kommen gut durch. Aber klar, der
Knackpunkt wird der Stadtverkehr von München sein. Und genauso ist es. Die Zeit wird immer
knapper, die Lage immer bedrohlicher. Immer wieder sind vor und hinter uns Polizeiautos. Wenn die
uns jetzt anhalten? Uli bleibt völlig entspannt und lenkt das Auto weiterhin sicher durch den
stockenden Verkehr. Es ist 14:50 Uhr. Wir haben fast mit unserem Zug abgeschlossen, als sich Uli ein
Herz fasst und uns zwei Minuten später vor dem Bahnhof abliefert. In Windeseile sind die Koffer
geschnappt. Wir rennen mit letzter Kraft zum Zug und ergattern gerade noch zwei Sitzplätze, da geht
die Fahrt auch schon los.

Gleisarbeiten
Ihr ahnt es bereits, die Bahn wäre nicht die Bahn, wenn jetzt alles glatt ginge. Nur fünf Minuten
später stranden wir in Dachau, zunächst aus unbekanntem Grund. Dann erfahren wir, dass hier
Reparaturarbeiten stattfinden und wir zwei Züge passieren lassen müssen. Wir können nur noch
lachen. Klar, unser Zug in Halle, der ist weg. Hektisch überlegen wir, wie wir am besten
weiterkommen. Die DB-App sagt uns, dass es einen Zug in Leipzig gibt, der fährt nach Braunschweig
durch. Den schaffen wir vielleicht. Als wir mit 23 Minuten Verspätung in Leipzig ankommen, rennen
wir – so schnell es eben noch geht – mit unserem Gepäck zum Gleis 15. Völlig fertig mit den Nerven
und am Ende unserer Kräfte hechten wir uns in den Zug. Tatsächlich erreichen wir Braunschweig
pünktlich um 20:48 Uhr. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn wir den
durchgehenden Zug in Leipzig verpasst hätten. Die Alternative wäre ein Fahrt über den Harzrand bei
Vienenburg gewesen.

Das Reisen mit der Bahn ist einfach ein Alptraum. Nur gut, dass wir auf Uli getroffen sind, den Engel
von Westerham.

Was für ein Blick

Echt bayrisch
Bayrischer Löwe

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