Förderpreise revisited: Herkunft, Familienleben

Christina/ Juni 15, 2024/ Kultur

Herkunft und Familienleben sind die Oberthemen der Ausstellung „Dokumentarfotografie Förderpreise der Wüstenrot Stiftung revisited„. Warum „revisited“? Nun, bei den gezeigten Künstlern handelt es sich um Personen, die bereits ausgezeichnet wurden und nun die Weiterentwicklung ihres ursprünglichen Werks präsentieren. Herkunft und Familienleben stellen zwei große und prägende Themen im Leben eines jeden dar. Beide Aspekte prägen die Identität eines Menschen. Bekanntlich kann man sich beides nicht aussuchen, nur versuchen, damit umzugehen. Vier Künstler, Espen Eichhöfer, Verena Jaekel, Birte Kaufmann und Maziar Moradi sind ihre Namen, beleuchten in ihren Fotografien Aspekte von Familienkonstellationen, die manchmal überraschen und oftmals den Betrachter hilflos und betroffen zurücklassen.

„Ich werde deutsch“
Ich beginne meinen Rundgang im Torhaus 1. An der Kasse frage ich nach, ob die Tour rechts oder links beginnt. Ich erhalte die Antwort, dass das egal sei. Also entscheide ich mich für den Raum rechter Hand. Dieser liegt im Dunkeln. „Das ist wegen der Projektion“ erklärt mir eine Studentin. Ich könne aber ruhig das Licht anschalten versichert sie mir. Das tue ich sogleich. Zu Beginn bin ich verwirrt über die Bilder an der Wand. Diese zeigen verschiedene Gebäude, mit denen ich zunächst nichts anfangen kann. Über Tafeln erkenne ich, dass es sich um Flüchtlingsheime handelt. Da bin ich schon mitten im Thema. Was ich dann über „Jenny“ und zwei anonyme Interviewpartner von Maziar Moradi lese, erschüttert mich. Jenny ist in Deutschland geboren. Ihre Mutter stammt aus Ghana und dorthin schickt sie die damals fünfjährige Tochter, damit sich die Großmutter um sie kümmert. Zunächst fühlt sie sich in dem westafrikanischen Land fremd. Nach und nach baut sie eine enge Bindung zu ihrer Verwandschaft auf, bis ihre Oma stirbt. Mit 10 Jahren kommt sie zurück nach Deutschland. Nun ist hier für sie Vieles fremd. Ihre Mutter steckt sie in eine Pflegefamilie. Ihr Pflegevater gibt ihr einen Merksatz auf den Weg: „Als Neger musst du immer besser sein als die Deutschen. Das ist der einzige Weg, der dich zum Erfolg führt.“ Noch erschreckender ist allerdings der Grund, warum die Familie das farbige Mädchen bei sich aufgenommen hat. Ihre leibliche Tochter hat eine schwarze Puppe als Spielzeug und wünschte sich, dass diese lebendig würde.

Finde den Fehler
Tief getroffen wende ich mich den Familienportraits von Verena Jaekel zu. Ich verstehe nicht gleich, worum es hier geht. Zunächst wirken die Familienaufnahmen für mich, wie die gruseligen Fotografien der englischen Königsfamilie zu besonderen Anlässen. Oftmals wird hier eine vermeintliche Harmonie dargestellt, wie sie künstlicher nicht wirken könnte. Ich denke mir: „Finde den (Denk-)Fehler“. Und tatsächlich. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich, dass es sich um gleichgeschlechtliche Familien handelt. Besonders beeindruckend finde ich zwei Aufnahmen von einer deutsch-indischen Hochzeit zusammen mit den Briefen der beiden Bräutigamme, die sie sich gegenseitig geschrieben haben. Auf einem der Bilder tragen die Familien traditionell indische Kleidung, auf dem anderen westliche Garderobe.

Albanische Blutfehde
Ich wechsel die Räumlichkeiten. Über die Straße erreiche ich das Torhaus 2 und stolpere dort direkt in eine albanische Blutfehde. Birte Kaufmann hat ihre Fotoserie über eine albanische Familie „Gjakmarrja“ genannt. Der Begriff steht für die Tradition, einen Täter oder ein Familienmitglied zu töten, um die eigene Ehre zu retten. Sofort fühle ich mich sowohl an meine Reise nach Albanien erinnert als auch der Begegnung mit den „Kula“, den Blutrachetürmen. Hier versteckten sich die Männer, die von einer Vendetta bedroht waren. Weiterhin erinnere ich mich an das Buch, „der zerissene April„, das sich um genau dieses Thema dreht. Dass albanische Familien, zumindest in den abgelegenen Bergdörfern, unter dieser Tradition immer noch zu leiden haben, ist schwer für mich zu verstehen. Aber wie heißt es so schön: „Familie kann man sich nicht aussuchen.“ Die Herkunft auch nicht.

The Travellers
Überrascht bin ich von Kaufmann’s Bilderserie „The Travellers„. Diese Nomaden aus Irland, auch Pavee genannt, waren mir gänzlich unbekannt. Vielleicht fühlte ich mich ein wenig an die Amish People in den USA erinnert, wobei aus den Bilder nicht deutlich wurde, ob die Travellers besonders religiös motiviert sind. Die Armut, in der die Menschen offensichtlich mitten in Europa leben, ist schon erschreckend. Sehr bezeichnend fand ich das großflächige Wandbild mit einem toten Hasen, der auf einer Wäschespinne hängt, eingerahmt in eine karge Landschaft und gewitterträchtige Wolken. Da fällt mir der Satz ein: „In manchen Gegenden möchte ich nicht tod über dem Zaun hängen.“

Share
Share this Post