Radwandern im Oderwald: Nichts für schwache Nerven

Christina/ August 12, 2020/ Alltagsgeschichten

Auf dem Holzweg
Es ist heiß geworden in Deutschland. Das Joggen macht maximal noch in den frühen Morgenstunden Spaß. Also schwinge ich mich mal wieder auf mein „kleines Schwarzes“ und erkunde die Radrouten rund um Wolfenbüttel, den Oderwald und Salzgitter. Ziele sind an diesem Wochenende zum einen Salzgitter-Salder mit dem Schloss-Museum. Zum anderen geht es nach Heiningen mit dem Klostergut und dem Oderwald um die Ecke. Und der hat es wirklich in sich: Wer sich mal vollends verirren will, ist hier genau richtig. Der Wald ist nicht mal bei Google Maps komplett verzeichnet und Einheimische betonen auf Nachfrage gerne, dass das Durchqueren des Waldes schwierig bis unmöglich ist. Hier fühlte ich mich sprichwörtlich wie auf dem Holzweg.

Keine Zeit heißt keine Lust?
Bei meinem letzten Besuch in Wolfenbüttel hatte ich am Bahnhof einen Fahrradweg nach Salzgitter-Salder entdeckt. Da konnte ich noch nicht ahnen, dass es auf dem Weg dorthin nur noch ein einziges weiteres Hinweisschild zu Salder gibt und das erst 3,5 km vor dem Ort. Da ich auf dem Weg zum Bahnhof an der Touristeninfo vorbeifahre, halte ich hier kurz an. Mist, ich habe zwar einen Snutenpulli dabei, aber kein Fahrradschloss. Zufällig steht eine Touristengruppe mit Ortsführer vor der Information. Ich spreche die Gruppe an und frage, ob diese noch kurz hier steht und vielleicht einen Blick auf mein Fahrrad haben könnte. Der knochige Stadtführer schaut mich grimmig an: „Nein, wir gehen jetzt weiter.“ „Aha“, sage ich, „war ja nur eine Frage“. Ich gehe in das Gebäude herein, kühle Luft aus der Klimaanlage strömt mir angenehm entgegen. Das Fahrrad nehme ich einfach mit rein – scheint kein Problem zu sein.

Bei einer netten Dame erkundige ich mich nach Fahrradkarten für die Umgebung. Sie händigt mir eine Freizeitkarte mit Radwegen aus. Da entdecke ich auch eine Karte vom Oderwald, herausgegeben vom ADFC. Naja, die kann zur Unterstützung nichts schaden. Denkste!

Als ich die Touristeninfo wieder verlasse steht die Gruppe mit dem Stadtführer immer noch vor dem Haus. Ich kann es mir nicht verkneifen, den „Chef“ nochmals anzusprechen: „Ach“, sage ich wieder, „Sie stehen ja immer noch hier.“ Er schaut mich verdutzt an und antwortet: „Ihr Rad ist ja noch da.“ „Ja“, entgegne ich wiederum, „dank Ihrer freundlichen Unterstützung.“

So nun geht es aber los Richtung Bahnhof. Ausgestattet mit Radwanderkarte und der Ausschilderung im Rücken starte ich meine Tour. Wie immer habe ich zwar auch mein Handy dabei, bin aber nach wie vor ein wenig „old school“ und der Meinung, wenn die Stadt mich nach Salder schickt, dass die Ausschilderung durchgängig sein sollte.

Stopfkuchen – eine See- und Mordsgeschichte?
Hinter dem Bahnhof geht es erstmal steil bergauf Richtung Oderwald. Plötzlich taucht das Straßenschild „Stopfkuchen“ vor mir auf. Was soll denn das sein? Ich sende eine Statusmeldung an Freunde und Bekannte. Und siehe da, Wilhelm Raabe hat mal eine gleichnamige See- und Mordsgeschichte verfasst. „Stopfkuchen“ ist dabei der Spitzname des Romanhelden, aber eigentlich bezeichnet der Begriff einen Auflauf aus Essensresten. Hm, ob der Spitzbube mal in Wolfenbüttel gewohnt hat oder findet in der Straße ab und zu ein Resteessen statt? Das wird wohl erstmal ein Geheimnis bleiben.

„Und nichts auf dem Kopf!“
Während ich noch am Grübeln bin erreiche ich den Oderwald. Hier treffe ich auf weitere Ausschilderungen, allerdings ist der Weg nach SZ-Salder schon nicht mehr ausgewiesen. Ich spreche ein Pärchen und eine Joggerin an. Alle drei sind aus der Gegend, den Weg nach Salder kennen sie aber nicht. Ich mache mich erstmal Richtung Leinde auf. Unterwegs versichere ich mich nochmals, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Nach kurzer Zeit verlasse ich den Wald schon wieder und fahre auf einem Schotterweg direkt nach Leinde. Hm, da stehe ich nun. Kein Hinweis auf Salder, es sind nur SZ-Lebenstedt und Cramme ausgeschildert. Ich krame meine neu erworbene Radwanderkarte aus dem Rucksack. Super, da ist Salder gar nicht mehr verzeichnet!

Bei der Hitze sind die Straßen natürlich ziemlich verödet. Aber ich habe Glück. Ich halte einen älteren Herrn auf dem Fahrrad an. Im Gegensatz zum knorrigen Stadtführer ist dieser sehr freundlich. Der Mann erklärt mir, dass ich am besten über Immendorf und Watenstedt nach SZ-Salder komme.
Meine Hoffnung allerdings, dass SZ-Salder bereits in Watenstedt wieder ausgeschildert ist wird enttäuscht. Ich spreche einen Postboten an, der gerade einer älteren Dame Briefe überreicht. „Nach Salder?“ fragen beide erstaunt. „Ja, haben Sie denn kein Navi dabei?“ Touché. Die Dame erklärt mir den Weg nach Hallendorf und Salder und schließt ihre Beschreibung mit den Worten ab: „Und nichts auf dem Kopf“ (bei der Hitze).

Türkische Hochzeit auf Salder
Hinter Watenstedt wird der Weg wirklich hässlich. Es geht größtenteils auf der Bundesstraße weiter. Es ist zwar nicht viel Verkehr, aber schön ist etwas anderes. Kurz vor Salder ist der Ort auch wieder ausgeschildert. Danke, jetzt hätte ich es auch so gefunden. Im Ort selbst ist das Schloss-Museum gekennzeichnet. Als ich dort ankomme, sehe ich eine Menschenansammlung. Was ist das denn?
Ich gehe erst einmal durch den Park um das Schloss herum und mache meine Bilder: vom Schloss, vom Bähnchen, das an den Erzbergbau erinnern soll und dem Innenhof. Da ich kein Fahrradschloss dabei habe, lass ich das Museum aus. Im Corona-verwaisten Hof steht ein Van mit laufendem Motor. Der Klassiker: Es ist eine türkische Hochzeit, da ist der laufende Motor obligatorisch. Schließlich merkt der Fahrer jedoch, dass die Fotosession vor dem Prachtbau wohl länger dauern wird und stellt die ratternde Kiste endlich ab. Neben dem Schloss entdecke ich noch die Bockwindmühle und eine alte Gemeindebücherei. Alles noch schnell abgelichtet, dann trete ich den Heimweg an. Es ist doch sehr heiß an dem Tag und ich bin ja noch verabredet.

Der unspektakuläre Rückweg führt mich dann über Hallendorf, Salzgitter-Thiede und Geitelde zurück in den Westen Braunschweigs.

Hilfe, ich bin eine Radfahrerin, holt mich hier raus
Tag 2: Ich habe die Faxen immer noch nicht dicke und breche am nächsten Morgen zur zweiten Tour auf. Es soll eigentlich nur eine kurze Runde werden. Ich starte in Wolfenbüttel wieder vom Bahnhof aus, diesmal Richtung Halchter. Von dort will ich über Ohrum und Dorstadt nach Heiningen fahren. Zurück soll es über den Oderwald gehen, ich habe ja jetzt die Karte vom ADFC!

Der Radweg ist gut ausgeschildert. Ich bin überrascht, dass es nach Schladen nur 13 km sind. Das muss ich gleich meinen Mädels mitteilen, das könnte eine Tour für uns werden. In Halchter stoppe ich kurz am Herrenhaus am Ausgang des Ortes. In Dorstadt mache ich dann noch einen Zufallsfund als ich auf das dortige Rittergut treffe. In Heiningen schaue ich mich auf dem ehemaligen Klostengut um, das nun neben einem Hotel, eine Käserei und Tischlerei beherbergt.

Auf ins Abenteuerland
Nach der Besichtigung beginnt der Abenteuerteil. Ich fahre zurück nach Dorstadt und folge von dort der Ausschilderung Richtung Oderwald und Groß Flöthe. Es geht nur bergauf und es ist SEHR heiß. Zudem befinde ich mich wieder auf einem Schotterweg, die mag ich ja sowieso nicht. Ich kämpfe mich langsam vor. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich so schwitzen kann. Wann kommt denn endlich der schattige Wald, denke ich nach der x-ten Kurve.
Am Waldrand kommt mir ein Radfahrer entgegen. Ich frage ihn, wie ich durch den Wald nach Wolfenbüttel komme. „Gar nicht“ ist die knappe aber wohl ehrliche Antwort. Er hätte es auch schon versucht, mit Fahrrad schieben und so. Keine Chance. Ich bin mal wieder verstockt und will mich nicht entmutigen lassen: I have to learn it the hard way!

Unverhofftes Stempelglück
Tja, es geht weiter bergauf. Es gibt keinen Weg, um rechts in Richtung Wolfenbüttel abzubiegen, also lande ich zunächst in Klein und dann in Groß Flöthe – auf der anderen Seite des Waldes. Von dort folge ich der Ausschilderung nach Cramme und trete auf der Hauptstraße erstmal mächtig in die Eisen. Moment mal, war das eben nicht ein Stempelkasten? Und richtig. Ich bin im Schulwald Cramme (http://nordharz-media-portal.de/schulwald-in-cramme) gelandet und kassiere einen weiteren Stempel des Nördlichen Harzvorlandes ein. Juchu, meine Lebensgeister sind zurück. Da ahne ich allerdings noch nicht, dass mir nur wenige Minuten später eine harte Prüfung meines Nervenkostüms bevorsteht.

In Cramme folge ich dem (ausgeschilderten!!!) Radweg nach Wolfenbüttel/Halchter. Es geht in den Wald. Ich habe immer noch die Hoffnung, durch den Oderwald nach Wolfenbüttel zu kommen. Es geht unter einer Autobahnbrücke hindurch, das ist ja schon mal nicht falsch, denke ich. Dann wird es unheimlich. Keine Ausschilderung weit und breit. Ich gerate immer tiefer in den Wald. Es ist keine Menschenseele zu sehen. Als ich das Gefühl habe, im Kreis zu fahren, treffe ich die Entscheidung dem Oderwald endgültig den Rücken zu kehren. Mich sieht der nicht wieder! Ich bin heilfroh, als ich wieder am Waldrand bin. Zum Glück treffe ich auf ein Pärchen, das auf einer Bank sitzt. Ich frage nach dem Weg. „Am Waldrand oder durch den Wald?“ kommt die Frage. „Wenn Sie durch den Wald wollen wird es kompliziert.“ Ohne zu überlegen kommt meine spontane Antwort: „In den Wald fahre ich auf keinen Fall mehr.“ Die beiden grinsen nur.

Ende gut – alles gut
Vom Waldrand fahre ich über einen Feldweg in Richtung der nächsten Häuserzeile, das scheint mir eine sichere Bank zu sein. Und sicherlich hätte ich nie gedacht, dass ich mich mal darüber freuen würde, wieder in Leinde zu sein. Ich bin also wieder auf sicherem Terrain, das fühlt sich so gut an! Über Adersheim, Fümmelse und SZ-Thiede geht es wieder zurück in die Heimat. Ein echter Höllentrip bei der Hitze, wie ich meiner Freundin später im Biergarten erzähle. Dem Trip nach Schladen fassen wir aber trotzdem ins Auge. Nur eins ist sicher: Der Rückweg wird uns nicht über den Oderwald führen.

Meine Route (Samstag):
BS-Ringgleis – Radweg an der Okeraue – Wolfenbüttel – Touristeninfo – Bahnhof – Oderwald – Leinde – Immendorf – Watenstedt – Hallendorf – SZ-Salder – Watenstedt – Immendorf – SZ-Thiede – Geitelde – Westpark

Meine Route (Sonntag):
BS-Ringgleis – Radweg an der Okeraue – Wolfenbüttel – Herrenhaus Halchter – Ohrum – Rittergut Dorstadt – Klostergut Heiningen – Oderwald – Klein Flöthe – Groß Flöthe – Cramme – Oderwald – Adersheim – Fümmelse – SZ-Thiede – Geitelde – Westpark

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