Zehn Wochen in Algier

Christina/ Mai 7, 2018/ Kategorien, Philosophisches

Wie es runde Geburtstage bekannter Persönlichkeiten so an sich haben, werden diese zumeist in Form von Dokumentar und Spielfilmen im Fernsehen gewürdigt. Bücher, seien es Biographien oder historische Romane, werden im Zuge großer Verkaufschancen wieder oder neu veröffentlicht. So geschehen auch im Falle eines bekannten deutschen Philosophen, dessen Geburtstag sich am 5.5.2018 zum 200. Mal jährte: Karl Marx.

Wer war Marx?

Hier muss (ich mir) zunächst eingestehen, dass ich bedauerlicherweise wenig über Marx weiß. Leider ist er nie Gegenstand meines (Geschichts-)Unterrichts gewesen, lediglich mit einem Halbwissen kann ich aufwarten. Wie der Name schon verrät, ist er Begründer des Marxismus und dem Kapitalismus gegenüber kritisch eingestellt, damit begründet und vereinfacht ausgedrückt, dass die Ideologie des Kapitals den Arbeiter ausbeute, ja, ihn gar zur bloßen Ware degradiere. Langläufig ist mir noch bekannt, dass Marx & Engels oftmals in einem Atemzuge genannt werden und ihre Büsten – zumindest bis 1989 – in erster Linie im „kommunistischen Teil der Welt“ Ehrenplätze genießen.

Marx in Algier

Da mir Marx theoretischen Überlegungen (so wie sie mir bekannt sind) im Kern nicht fremd sind, beschließe ich, seinen 200. Geburtstag als Anlass zu nehmen, mich einmal näher mit dem deutschen Philosophen und Systemkritiker zu beschäftigen. Ein Spielfilm mit Dokumentarcharakter namens „Karl Marx: Der deutsche Prophet“, der auf Arte ausgestrahlt wurde, soll mein Einstieg sein. Bereits die Anfangssequenz jedoch wirft mich aus der Bahn. Der Film startet nämlich mit einer Bildfolge in Algier, wo sich Marx im Frühjahr 1882 zu einem Kuraufenthalt befindet. Ausgerechnet Algier! Marx war in einem arabischen Land. Ich bin fasziniert – sofort will ich alles darüber wissen. Der Teil des Films, der in Algier spielt, ist jedoch recht kurz, sodass meine Neugier zwar geweckt, aber nicht befriedigt wird.

Algier 1882

Als Anlass für seine Reise werden gesundheitliche Probleme genannt. Neben einer Hautkrankheit wird er von einem schweren Bronchialleiden geplagt. Als weiterer markanter Punkt seines Aufenthalts in der algerischen Hauptstadt wird sein Besuch bei einem arabischen Barbier gezeigt, bei dem er nicht nur seine Mähne beträchtlich stutzen lässt, sondern dem auch sein charakteristischer Bart zum Opfer fällt.
An Bord des Paketdampfers „Said“ (der Glückliche) war er von Marseille nach Algier gereist. Am 20. Februar 1882 trifft er dort ein. Mehr als das bereits Gesagte verrät der Film über den Aufenthalt des deutschen Philosophen in Nordafrika jedoch nicht und lässt damit vor allen Dingen einen Punkt offen, der mich besonders interessiert: Wie hat Marx das koloniale Algerien erlebt? Ihn, der einen besonderen Blick für das Proletariat und damit für die Ungerechtigkeit der Lebensverhältnisse zu haben schien, sollten die Zustände der Algerier unter französischer Kolonialherrschaft doch gerade beschäftigt haben.

Der blinde Fleck

Tatsächlich scheint der zweimonatige Aufenthalt von Marx in Nordafrika so etwas wie ein blinder Fleck in seiner Biographie zu sein. Vergleichsweise wenig ist bislang dazu publiziert. Da wäre zum einen das Werk der Journalistin Marianne Vesper „Marx in Algerien“ aus dem Jahre 1995 und zum anderen das Buch von Hans Jürgen Krysmanski: „Die letzte Reise des Karl Marx“ von 2014. Neu erschienen ist das bereits positiv konnotierte Werk von Uwe Wittstock mit dem Titel „Karl Marx beim Barbier. Leben und letzte Reise eines deutschen Revolutionärs“, das soeben den Weg auf meine „Bücherliste“ gefunden hat.

Eine Leseprobe, oder wie es mittlerweile heißt: „Der Blick ins Buch“, von Wittstock’s Biographie wirft erste Fragen auf: War Algerien damals so etwas wie ein Auffangbecken für die Kritiker der französischen oder irgendeiner westlichen Regierung (zur Erinnerung: Marx war zu dem Zeitpunkt seit Jahren staatenlos gewesen)? Was dem einen Exil ist, ist des anderen okkupierte Heimat. Denn die Franzosen hatten sich zu der Zeit, ihr Exil schon französisch gestaltet: die alten arabischen Häusern waren über die Zeit etlichen Villen wohlhabender Franzosen mit üppigen Gartenanlagen gewichen. Aus dem ersten Kapitel des Buches klingt es zudem so an, als wäre Marx während der Zeit seines Aufenthaltes unter seines Gleichen geblieben: Europäern, die im Französisch besetzten Algerien ein privilegiertes Leben genießen.
Ist sein damaliger Aufenthalt etwa als Geburtsstunde seines Ausspruchs „Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin“ zu werten?

Am Abend des 2. Mai 1882 verlässt Marx die algerische Hauptstadt wieder und reist auf dem Dampfschiff „Peluse“ zurück nach Europa. Knapp ein Jahr später, im März 1883, stirbt er in London.

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