Von Spiegelberg zu den Drei Steinen

Christina/ August 12, 2021/ Kultur, Philosophisches

Die Lesung zu den Braunschweiger Industriellen Spiegelberg und Büssing hat mich irgendwie nicht losgelassen. So treibt mich mein Wissensdurst gestern nach Vechelde, wo ich erneut auf den Spuren Spiegelbergs wandeln kann. Vor Ort ergibt sich noch eine ganze andere, unerwartete Erkenntnis. Der größere Zusammenhang kristallisiert sich dann bei einem Besuch der Ausstellung “Drei Steine” in der Gedenkstätte Schillstraße heraus. Eine für mich völlig verblüffende Erfahrung, wie sich der Kreis von der Lesung am Sonntag bis zum gestrigen Ausstelllungsbesuch schließt.

Das Jutetor
Von der Entdeckungslust getrieben verschlägt es mich also an diesem Mittwoch nach Vechelde. Von der Hauptstraße biege ich links in die Spiegelbergallee. Das klingt schon einmal gut, schließlich bin ich auf der Suche nach dem Jutetor, dem ehemaligen Eingangstor zu Spiegelbergs Fabrik. Das Portal ist nicht ganz einfach zu finden. Über den Flachsring gelange ich schließlich dort hin. Ich bin ein wenig enttäuscht, denn außer dem Tor ist tatsächlich nichts mehr von den einstigen Fabrikgebäuden zu sehen.

Aus der Lesung weiß ich, dass die ehemalige Jutespinnerei später von den Nationalsozialisten als KZ-Außenstelle genutzt wurde. Aber auch von der Außenstelle Vechelde ist nichts mehr zu sehen. Nur eine Tafel der Gemeinde Vechelde am Jutetor erinnert daran, was hier von September 1944 bis März 1945 vor sich ging.

Der Schlosspark von Vechelde
Nach so viel schwerer Geschichte gönne ich mir eine Erholungspause im nahegelegenen Schlosspark. Leider wurde die barocke Residenz von Ferdinand, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Ende des 19 Jahrhunderts abgerissen. Ein kleiner aber feiner Park ist übrig geblieben und lädt zum Spazierengehen und Verweilen ein.

Auf eine der barocken Figuren, die zwei Frauen und einen Mann in einer sehr vergnügten Pose zeigt, werfe ich einen etwas neidischen Blick. Es scheint doch damals ziemlich fröhlich und unbeschwert zugegangen zu sein. Eine Szene, die mir in Zeiten der Corona-Einschränkungen weit weg zu sein scheint. Mit dem Streifzug durch den Schlosspark ist meine Besichtigungstour in Vechelde beendet. Es geht zurück nach Braunschweig, für den Nachmittag steht noch die Ausstellung “Drei Steine” auf dem Programm.

Ausstellung “Drei Steine” in der Gedenkstätte Schillstraße
Die Graphic Novels von Nils Oskamp, selbst Betroffener von rechter Gewalt, zeigen, was Gewalt mit Menschen macht. Der Titel der Schau “Drei Steine” rührt von einem Besuch des Künstlers auf einem verwüsteten jüdischen Friedhof in Dortmund her. Als Jugendlicher hat er von dort drei Steine mitgenommen. Diese Steine lagen zur Erinnerung an die Opfer auf den Grabsteinen. Sie sind nun Ausgangspunkt von Oskamps Geschichte, die von seinen Erfahrungen aus der Jugendzeit bis zum Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem führen.

Von Braunschweig nach Auschwitz und zurück
Die Bilder zeigen aber auch, wie Oskamp versucht mit der Gewalterfahrung zurecht zu kommen und was diese mit seiner Psyche gemacht hat. Ein Mitarbeiter der Gedenkstätte Schillstraße gibt mir eine kurze Einführung zur Ausstellung. Im Gespräch erzähle ich, dass ich heute im KZ-Außenlager Vechelde gewesen sei und erfahre, dass die Außenstellen Vechelde und Schillstraße damals beide zum KZ Neuengamme gehörten. Ich bin erstaunt, wie sich der Kreis hier schließt.

Die Gedenkstätte Schillstraße hält auch Bild- und Toninformationen zu beiden Außenstellen bereit. Ich sehe mir das Zeitzeugeninterview von Sammy Frenkel an. So erhalte ich noch einen tieferen Einblick in die erschütternden Zusammenhänge, so z.B. dass Frenkel Braunschweiger ist. Zunächst wurde er ins Ghetto nach Lodz transportiert. Später kam er ins KZ Auschwitz und hatte mit seiner Familie “Glück” wieder nach Braunschweig zurück zu kommen, wo sein Vater für die Achsenproduktion von Büssing in der Außenstelle Vechelde arbeitete. Was für eine Odyssee. Einerseits bin ich mal wieder bewegt von den vielen schrecklichen Einzelschicksalen der NS-Zeit und andererseits verblüfft darüber, wie sich die Geschichte von Spiegelbergs Fabrik und Büssings Achsenproduktion bis hierher verfolgen lässt. Mit diesen gemischten Gefühlen verlasse ich die Gedenkstätte.

Mein Date mit einer Azurjungfer
Das Ende des Tages verbringe ich mit einer Freundin bei einem gemütlichen Streifzug per Rad durch den Westpark. Es zieht uns zum Löwenlabyrinth am Madamenweg. Hier erweist uns eine sehr schönes Exemplar einer Azurjungfer die Ehre, sie ablichten zu dürfen. Das erinnert mich an meine Wanderung rund um Wahrenholz. Was für ein schöner Ausklang eines ereignisreichen Tages.

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