Großer Sassenburg Rundkurs

Christina/ August 28, 2023/ Alltagsgeschichten, Kultur

Auf dem Großen Sassenburg-Rundkurs gibt es viel zu entdecken. Die über 50 km lange Fahrradtour führt vorbei an der Moorbahn in Westerbeck, durch das Naturschutzgebiet Allertal, sowohl der Tankum– also auch der Bernsteinsee werden passiert. Es geht entlang des Elbe-Seiten-Kanals (ESK), vorbei am Museum Großes Moor bei Neudorf-Platendorf. Der Rundkurs ist sehr gut ausgeschildert. Viele Informationstafeln führen den interessierten Radfahrer zudem in die Geschichte, der sechs Orte ein, die der Radweg miteinander verbindet.

Start an der Moorbahn
An der Moorbahn in Westerbeck beginnen wir unsere Tour. Die Denkmäler in Westerbeck sind neben zwei Eichen, Gedenkstätten anlässlich der Leipziger Völkerschlacht von 1813. Dem damaligen Sieg über Napoleon wurde zum 100-jährigen Jubiläum mit einem Findling gedacht. Vorbei am Brockenblick gelangen wir nach Dannenbüttel. Auf dem Maschplatz wurden zum Gedenken an den Sieg drei Linden und elf Eichen gepflanzt. Bedeutende Männer und Frauen aus der Zeit geben den Bäumen ihre Namen.Eine von ihnen ist Johanna Katharina Elisabeth Stegen: “In den Lüneburger Toren ward ein seltner Kampf gesehen, daß der Kampf nicht ging verloren, ist durch Mädchendienst gescheh’n.” Frauenpower aus dem 19. Jahrhundert?

Sport und Spaß am Tankumsee
Wir radeln durch das herrliche Naturschutzgebiet Allertal. Am Ende stehen wir direkt vor dem Tankumsee. Das herrliche Spätsommerwetter lässt den See erstrahlen. Wir gönnen uns eine erste Trinkpause und genießen die Ruhe. Wir radeln weiter hinauf zum Elbe-Seiten-Kanal (ESK), der erst im Jahre 1976 fertiggestellt wurde. Wir sind auf dem Weg nach Grußendorf und dem Bersteinsee. Wir beobachten ein paar sehr gemütlich passierende Schiffe, deren Gelassenheit sich auf uns übertragt. Das ist so ein bisschen wie beim Tennessee Whisky von Jack Daniel‘s, wo es Lagerarbeiter Willburn Rutledge und Billy Dunn nicht eilig haben. Um das Beste zu erreichen, so heißt es in dem legendären Werbespot, sollte man überhaupt nichts tun.

Über eine Informationstafel erfahren wir, dass der ESK im Volksmund angeblich Heide-Suez-Kanal oder Heide-Highway genannt wird. Zwei Begriffe, die mir bis dato fremd waren.

Kröte in Schockstarre
Wir behalten unsere Gemütlichkeit bei und steuern zunächst entlang des ESK und später wieder im Wald auf Grußendorf zu. Holger zeigt plötzlich auf etwas, das auf dem Boden liegt. Es ist eine Kröte, die wohl im Begriff war, den Weg zu kreuzen. Als sie wohl die Bodenerschütterung wahrgenommen hat, verfällt sie in Schockstarre (https://www.galileo.tv/natur/reflexe-was-ist-das-tieren-welche-gibt-es/), damit ihre Feinde den Eindruck gewinnen, dass sie tot sei. Ihre Körperhaltung zeigt, dass sie sich eben noch fortbewegt hat. So ist das rechte Bein nach hinten gestreckt, wie in einer Gehbewegung, in der sich ganz plötzlich verharrt. Und es rührt sich wirklich gar nichts. Wir können nicht mal erkennen, ob sie atmet. Faszinierend, was die Natur für Schutzmechanismen entwickelt hat.

Wasserski am Bernsteinsee
Von Grußendorf aus radeln wir nach Stüde weiter. Hier machen wir am Bernsteinsee Halt, einem ehemaligen Baggersee, der seit 1971 ein Naherholungsgebiet ist. Bei dem schönen Wetter wird fleißig Wasserski gefahren. Besonders die Herren der Schöpfung werfen sich hier in Pause. Ist ja klar, bei den Groupies am Wasserrand. Auf einer Bank genießen wir die Szenerie auf dem glitzernden Wasser. Auch hier herrscht keine Hektik. Mit dem Wind, dem Strand und dem Wasser kommt schnell ein Küstenfeeling auf. Hier atmen wir nochmals tief durch bevor wir uns langsam, aber sicher auf den Rückweg machen.

Der Tigkerkäfig über dem Elbe-Seitenkanal
Unterwegs erwarten uns noch ein paar Highlights, wie z.B. der Tigerkäfig, der Blutige Knochen und das Museum am Großen Moor. Unter dem Begriff „Tigerkäfig“ können wir uns zunächst gar nichts vorstellen. Dann haben wir die Auflösung direkt vor uns: es handelt sich um eine Brücke, die über den Elbe-Seiten-Kanal führt. Erbaut wurde sie 1971 und zwischen 2010 und 2011 runderneuert. Sie verbindet den Charlottenhof mit Stüde. Das Bauwerk ist eine sogenannte Fachwerk-Stahlbrücke und wird deshalb Tigerkäfig genannt.

Am Blutigen Knochen
Wir aber sind neugierig auf den Blutigen Knochen. Das klingt so richtig schön gruselig und regt die Fantasie an. Zurecht. Bereits der Straßenname „Am Knüppeldamm“ lässt einiges vermuten. Früher muss es an der Kreuzung vom Knüppeldamm und dem Arnoldshof eine berüchtigte Kneipe namens „Zum Wahrenholzer Moor“ gegeben haben. Der Legende nach soll es in der Gaststätte unter den Besuchern immer wieder zu handfestem Streit gekommen sein. Natürlich nach dem entsprechenden Alkoholgenuss. Da flogen also die Fäuste, bis die Knochen blutig waren.

Eine zweite Erzählung behauptet, dass der Spitzname aus der Feindschaft zweier Familien entstanden sei, die ihre Streitereien an dieser Stelle ausgetragen hätten. Fakt ist jedoch, dass die Moorarbeiter immer samstags ihre Wochenlöhne erhielten und danach wohl im Wahrenholzer Moor eingekehrt sind. Zuletzt hieß die berühmte Gaststätte „Zum Heidewald“ und wurde Ende der 1990er Jahre jedoch geschlossen.

Museum „Großes Moor“
Als wir schon nicht mehr damit gerechnet haben, werden wir von einem weiteren geschichtlichen Höhepunkt überrascht, dem Museum „Großes Moor“. Hier faszinieren mich insbesondere drei geschichtliche Informationstafeln. Sie erzählen u.a. vom König Georg III von Hannover, der einen Vertrag mit Siedlern der Dörfer Neudorf und Platendorf schloss. Es ging um den Transport von Torf und eine Zollstation. Von dieser versprach sich der absolutistische Herrscher gute Einnahmen und die Siedler ihre Freiheit. Tatsächlich wurden beide Seiten enttäuscht. Während der König nur Geld verlor, ging es bei den Siedlern um Leben und Tod. Sie lebten in Armut und litten Hunger.

Die Rettung kam schließlich in Person von August Wegener, der in Triangel, eine Glasfabrik eröffnete. Er zwang den König, eine Suppenküche zu eröffnen. Die Siedler jedoch wollten nicht nur essen, sie wollten ihre Unabhängigkeit. Georg III ließ sich jedoch nicht erweichen, so dass die Siedler schlussendlich nach Amerika flohen.

Die Revolution von 1848
Neudorf-Platendorf, wie es mittlerweile heißt, hat bewegte Zeiten erlebt. Der Freiheitswille der Menschen war nicht mehr aufzuhalten. Sollte es auch noch siebzig Jahre dauern, bis die Diktatur in Deutschland beendet war. Der Schifffahrtskanal, der nur dem König nutzte, wurde zugeschüttet. Stattdessen baute man eine Dorfstraße für den Warentransport und mehrere Brücken, insgesamt 114 Stück. Die Bauten, zu denen auch Grundschulen gehörten, wurden von den Bürgern selbst finanziert.

Flüchtlinge in Neudorf-Platendorf
Dann kamen die Flüchtlinge. Aus heutiger Sicht ist diese Zahl besonders interessant. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten in Neudorf-Platendorf 1.074 Menschen, davon waren 686 Personen Flüchtlinge. Vertriebene und Einheimische wurden schnell Freunde, teilweise ein Leben lang. Nach dieser beeindruckenden Geschichtsstunde kann nichts mehr kommen. Nach drei Kilometern erreichen wir den Moorbahn-Bahnhof und damit unser Endziel.

Die Moorbahn ist tatsächlich noch aktiv – wenn auch nur zu touristischen Zwecken. An diesem Samstag fuhr sie jedoch nicht. Das ist aber auch nicht schlimm, so bleibt uns noch ein weiteres Ziel in dieser schönen Gegend und ein Grund nochmals wiederzukommen.

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