Kunst im öffentlichen Raum: Alltagsmenschen

Christina/ Juli 29, 2023/ Alltagsgeschichten, Kultur

Die Alltagsmenschen sind wieder in Braunschweig. Zuletzt haben wir sie im Jahr 2017 in der Löwenstadt gesehen. Diese täuschend echt wirkenden Betonfiguren sind ein wirklicher Gewinn. Kunst im öffentlichen Raum belebt die Innenstadt. Für mich sind die Puppen ein Grund zur Freude. Egal ob es sich um die „Sofagruppe“ auf dem Altstadtmarkt handelt oder die „Tafel“ auf dem Schlossvorplatz. Manchmal wirken die Menschen so echt, so dass ich mich gerne dazusetzen möchte. Die Figuren strahlen viel Sympathie, Freundlichkeit und Unaufdringlichkeit aus, dass ich mich fast mit ihnen anfreunden möchte. In einer Themenführung mit Thomas Ostwald durften wir gestern nicht nur mehr über die Alltagsmenschen erfahren. Ebenso stand Wissenswertes über die Geschichte von Braunschweig auf dem Programm, die uns überrascht hat. Der Rundgang endet an der Magnikirche. Hier laden verschiedene Cafés und Kneipen zu einem Abschlussdrink ein.

Ein falscher Löwe und Tyrann
Wir treffen uns am „falschen“ Löwen auf dem Burgplatz. Der Braunschweiger Löwe ist das Wahrzeichen der Stadt. Auf dem Burgplatz allerdings steht ein falscher Fuffziger; das Original aus dem 12. Jahrhundert kann in der Burg Dankwarderode besichtigt werden. Interessant ist, dass mehrere Kopien des Tieres über Deutschland verstreut sind. Eine Replik hat es sogar noch London, eine andere nach Cambridge geschafft. Der vermeintliche Löwe, der Physiognomie nach eher eine Hundeschnauze mit Menschenohren, blickt nach Osten. Gästeführer Ostwald liefert uns auch die Erklärung dafür. Mit Feuer und Schwert habe Heinrich der Löwe die Menschen zum Christentum bekehrt.

Fernglasmann
Wir widmen uns dem ersten Alltagsmenschen des Künstlerduos Christel und Laura Lechner. Auf dem Burgplatz vor den Fachwerkhäusern steht er, der Fernglasmann. Wo er wohl hinschaut? Der Braunschweiger Dom ist es nicht. Nein, vielmehr richtet der Herr seinen Blick in den Himmel. Vor der Kleinen Burg treffen wir den „Mann mit kurzer Hose“. Ein typisches Mannsbild eben, Hände in den Taschen, Bierbauch vorne dran. Fehlen nur noch die weißen Tennissocken. Vor dem Gymnasium „Kleine Burg“ machen wir noch vor zwei Fachwerkhäusern Halt bevor es zu „Claudia“ geht. Im blauen Kleid mit Gummistiefeln sitzt sie auf einem Vorsprung der Galerie Jaeschke. Ich bin mir sicher, dass Claudia von hier oben einen guten Blick auf das Geschehen in der Fußgängerzone hat.

Die Revanche des Jürgen Weber
Plötzlich steht da einer im Weg und wartet – auf was? Darauf, dass seine Frau aus einem Bekleidungsgeschäft herauskommt oder vom Bäcker? Es ist der Mann mit roter Kappe, der mit verschränkten Armen am Ringerbrunnen steht. Apropos Ringerbrunnen. Da hat Ostwald noch eine gute Geschichte parat. Es geht um die Entstehungsgeschichte der Bronzeskulptur. Als diese 1975 aufgestellt wurde war die Empörung einiger Braunschweiger Bürger groß. Die beiden Ringkämpfer waren nackt. Das gefiel nicht jedem. Besonders denjenigen Eltern nicht, die ihre Schulkinder vor dem Anblick schützen wollten. Jürgen Weber, seines Zeichens Bildhauer und Vater der Skulptur, war aber keineswegs bereit klein beizugeben und ließ sich einen Kniff einfallen. Bei der nächsten Einweihung trugen beide Kämpfer zwar Anzüge. Allerdings hatte Weber die Namen der Kritiker auf die Hinterteile der Figuren geschrieben.

Und damit nicht genug. Die Skulptur steht auf einem Schild mit einem Löwenkopf. So rächte sich Weber an den engstirnigen Braunschweigern, in dem er den Löwen mit Füßen treten lässt.

Frau mit Pelz
Vor dem ehemaligen Hotel zur „Goldenen Rose“ stehen weitere Alltagsmenschen. Es ist ein schick gekleidetes Paar, er im Anzug, sie in einem blauen Kostüm mit Pelzbesatz. Pelz, so hätte ich gesagt, ist out. Aber gut, die beiden sind nicht mehr die Jüngsten und vielleicht geht es ihnen einfach darum, das Flanieren in der Innenstadt stilecht zu begehen. Für uns stehen noch die Putzfrauen auf der Georg Eckert Straße, die „Tafel“ vor dem Schloss und die „Kleine Pause“ vor der Magnikirche auf dem Programm.

Ein ungeplanter Showact erwartet uns bei den Putzfrauen. Zunächst verstehen wir gar nicht, um was es geht. Dann sehen wir, wie eine Frau versucht ein Schild an den Figuren anzubringen. Ostwald will eigentlich mit seinem Vortrag fortfahren, wird aber von der Dame harsch unterbrochen. „So, dann müsst ihr euch jetzt eben mal gedulden. Ich war ja schließlich zuerst hier“. Wir sind alle ein wenig perplex und weichen auf die Tafel vor dem Schloss aus. Meiner Meinung nach sind das hier die beliebtesten Alltagsmenschen. Der gedeckte Tisch mit den verschiedenen Figuren wirkt von Weitem so täuschend echt, dass ich beim ersten Mal gestutzt habe, ob es sich hierbei um eine Veranstaltung handelt. Es scheint aber nicht nur mir so zu gehen. Jedenfalls sind die freien Plätze am Tisch immer besetzt. Die Tafel ist definitiv das Fotomotiv des Sommers in Braunschweig.

Aber zurück zu unserem Showact. Die Dame hat ihr Werk inzwischen vollendet. So richtig schlau werde ich aus ihrem Pappschild mit der Aufschrift nicht. Es geht irgendwie um Müllvermeidung. Dazu mag es aber nicht so recht passen, dass sie ihren eigenen Abfall stehen gelassen hat. Zum Abschluss geht es für uns ins Magniviertel. Wir bleiben vor dem ältesten Fachwerkhaus Braunschweigs stehen, das momentan noch eingerüstet ist. Es steht am Ackerhof und wird derzeit saniert. Wir staunen als Ostwald uns erzählt, dass das Haus bereits seit 70 Jahren stand als Christoph Kolumbus 1492 Amerika entdeckte. Trotzdem ist es, wie oft behauptet wird, nicht das älteste Fachwerkhaus Deutschlands, sondern eben eines davon.

Kleine Pause am Magni Kirchplatz
Unsere Führung endet am Magni Kirchplatz. Hier steht die „Kleine Pause“ der Lechners. Ostwald hatte unterwegs bereits davon berichtet, dass es leider immer wieder Leute gibt, die die lebensgroßen Betonskulpturen beschädigen oder stehlen. Einer der Figuren auf den Bänken fehlt der linke Unterarm. Es sieht nicht wirklich so aus als ob das ein künstlerischer Kniff wäre. Wahrscheinlich klebt hier aber nicht ganz zu unrecht das Schild mit der Aufschrift „Eltern haften für ihre Kinder“ neben dem Betonmann. Als ich mich umdrehe sehe ich doch tatsächlich eine Freundin an einem der Außentische auf dem Platz sitzen. Eine prima Gelegenheit, um den kulturellen Teils dieses Nachmittags bei einem Alsterwasser ausklingen zu lassen.

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