Starke Frauen in Braunschweig

Christina/ August 26, 2019/ Kultur

Was mittlerweile in weiten Teilen Europas selbstverständlich ist, ist es nicht immer gewesen: Frauen machen Abitur, Frauen üben eine berufliche Tätigkeit aus, Frauen sind wirtschaftlich unabhängig. Das ist auch bis weit in das 20. Jahrhundert in Braunschweig nicht so gewesen. Welche Frauen sich dennoch durchsetzen konnten und wie sie das geschafft haben, ist Thema eines zweistündigen Stadtspaziergangs, organisiert vom Arbeitskreis für „Andere Geschichte e.V.“.

Der primäre Ton

Wir starten am Wilhelm-Gymnasium in der Leonhardstraße und das hat seinen Grund. Erst seit 1964 ist es Frauen erlaubt, an diesem Gymnasium ihr Abitur abzulegen. Das ist gerade einmal 55 Jahre her.

Unsere erste biografische Station ist die Adolfstraße 10, das Wohnhaus von Minette Rautmann-Wegmann. Sie wurde 1858 geboren und starb 1927. Mit ihrem Mann gründete sie das „Konservatorium der Musik“ am Hagenmarkt 18. Als Klavierlehrerin zu arbeiten ist zu der Zeit einer der wenigen Berufe, die Frauen überhaupt ausüben dürfen. Um 1910 hat es in Braunschweig 78 Klavierlehrerinnen und 22 Klavierlehrer gegeben. Bemerkenswert an der Biografie von Rautmann-Wegmann ist sicherlich auch, dass sie Vortragsreisen zur ihrer Art des Unterrichts unternahm, um ihre Methode zu verbreiten. Auch ein Buch hat sie veröffentlicht: Der primäre Ton am Klavier. Ein neues tontechnisches Werk.

Das Toiletten- und Umkleideproblem

Wir gehen weiter zur Adolfstraße 26. Im ersten Stock ist die ehemalige Praxis von Braunschweigs erster Frauenärztin: Dr. Margarete Breymann. 1878 in Wolfenbüttel geboren hatte die couragierte und selbstbewusste Dame zunächst ein paar Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Zunächst ist es Frauen zu der Zeit noch nicht erlaubt, das Abitur zu machen. Unterstützt von ihrer Familie geht Margarete zum Medizinstudium nach Göttingen. Ab 1899 werden Frauen in der Medizin zugelassen; 1901 findet die erste Approbation einer Frau statt. Erstaunlich ist es, dass Frauen in der als konservativ geltenden Schweiz bereits früher studieren dürfen.

Zur Verdeutlichung: In Braunschweig gibt es 1911/1912 das erste Frauenabitur in einem Männergymnasium und 1917 offiziell das erste Gymnasium für Frauen. Zu der Zeit, gibt es die meisten Ärztinnen in Berlin. Nur 1/3 dieser Frauen sind verheiratet und üben ihren Beruf auch während der Ehe aust, was zu der Zeit nicht selbstverständlich ist. Lehrerinnen zum Beispiel dürfen wegen der „Zölibatsklausel“ ihren Beruf nach der Heirat nicht mehr ausüben. Und noch unglaublicher: Diese Klausel gilt in Baden-Württemberg sogar bis 1956!

Während ihres Studiums in Göttingen wird Margarete Breymann mit ganz praktischen Problemen konfrontiert: Das Universitätsgebäude verfügt weder über eine Damentoilette noch über eine Damen-Umkleidekabine. So muss sich Margarete den Schlüssel ihres Professors leihen, um dessen Toilette benutzen zu können.

Außergewöhnlich ist an der Biografie Breymanns sicherlich auch ihr Privatleben. Margarete lebt mit einer Frau zusammen, Tilly Brunette ihr Name. Margaretes Selbstvertrauen offenbart sich in einem Brief an ihre Partnerin, in dem sich deutlich äußert, dass sie keinerlei Schuldgefühle aufgrund dieser Beziehung hege und sich gängigen gesellschaftlichen Konventionen nicht unterwerfen mag. Margarete Breymann stirbt 1958.

Tod in der Munitionsfabrik

Unsere dritte Station führt uns in die Villierstraße, wiederum zu einer sehr schönen Villa. Hier residierte die Malerin Käthe Evers (geboren 1893). Evers macht ihr Abitur an der Lefflersche Schule, dem heutigen Ricarda-Huch Gymnasium. Käthe lernt in ihrer Jugend Elsa Daubert kennen und lässt sich mit ihrer Freundin zusammen bei der Malerin Anna Löhr in der Stilrichtung des Pointilismus ausbilden, einer Weiterentwicklung des Impressionismus.

Danach erfolgt eine Station in München, beim Maler Gustav Lehmann, der sich in erster Linie durch seine Landschaftsmalerei einen Namen macht. Die beiden Freundinnen machen ebenfalls die Bekanntschaft von Emmy Scheyer, die unter dem Namen Galka Scheyer, berühmt wird.
Käthe Evers stirbt jung. Eine Recherche im Internet zeigt jedoch eine Diskrepanz in den Darstellungen ihres weiteren Lebensweges auf: Während des Stadtspaziergangs hören wir, dass Evers freiwillig in einer Munitionsfabrik arbeitet. Im Internet dagegen wird von einer „Verpflichtung“ zur dortigen Arbeit gesprochen. Bei einem Bombeneinschlag in der Fabrik kommt Käthe ums Leben.
Käthe Evers Werke sind teilweise im Städtischen Museum Braunschweig zu besichtigen. Eine dokumentarische Aufführung über Galka Scheyer gibt es derzeit im Gliesmaroder Thurm zu sehen.

Die Pianistin Emmi Knoche

Wir erreichen die Gerstäckerstraße 3. Hier wohnte die Braunschweiger Pianistin Emmi Knoche, geboren 1881, gestorben 1970. Unterricht nimmt Emmi beim Pianisten und Komponisten Conrad Ansorge, der ihr ein großes Talent bescheinigt. Aufgrund einer unglücklichen Ehe und finanziellen Nöten nach der Scheidung kann Knoche ihrer Leidenschaft leider nicht hauptberuflich nachgehen.
Interessant finde ich aber noch dieses Fundstück aus dem Internet:

„Ich erinnere mich, dass mir dieser Begriff in meiner Kindheit mal sehr plastisch verdeutlicht wurde. Meine Schwester bekam von der Pianistin Emmy Knoche ein altes Klavier geschenkt. Dies schwarze Monstrum mussten dann zwei Männer die Treppe hinauf wuchten. Nach dem Kraftakt gab mein Vater den beiden, die sich den Schweiß von der Stirn wischten, ein Trinkgeld.“

Das älteste nicht zerstörte Gebäude in Braunschweig

Wir ziehen weiter zur St. Leonhardskapelle, unserer vorletzten Station. Als wir die Kapelle erreichen sind gerade Bauarbeiten im Gange. Wir erfahren, dass die Kapelle restauriert wird. Der Pfarrer der Freikirche lässt uns wissen, dass es sich bei dem Gebäude um das älteste nicht zerstörte Bauwerk Braunschweigs handelt. Die Kapelle entstand 1190 als Siechenkapelle für Leprakranke. Und an dieser Stelle beginnt auch die Geschichte des ersten weiblichen Krankenpflegeordens: der Beginen.

Im 13. Jahrhundert wollen Frauen erstmals aktiv am religiösen Leben teilnehmen und gründen den Orden der Beginen. Die Begeisterung der männlichen Orden über dieses Streben hält sich jedoch in Grenzen, sodass die Beginen im 16. Jahrhundert im Zuge einer wirtschaftlichen Schwächephase wieder verschwinden. Männer drängen damals in Frauenberufe. Der 30-jährige Krieg und weitere Kriege im 18. Jahrhundert jedoch verursachen einen Pflegenotstand. 1836 wird in Kaiserswerth die Schwesternschaft der Diakonissen gegründet.

Die Führung endet am Marienstift, einer Wirkungsstätte der Diakonissen und Bollwerk gegen die „Braunen Schwestern“ aus der nationalsozialistischen Herrschaft. Tatsächlich war es zu der Zeit, dass die Krankenpflegeausbildung zum ersten Mal vereinheitlicht und systematisiert werden sollte, allerdings aus zweifelhaften Gründen. Das Marienstift als religiöse Einrichtung wehrt sich erfolgreich gegen die Spionagetätigkeit der „Braunen Schwestern“. Erst 1957 wird die Ausbildung dann staatlich geregelt.

Übrigens: das erste Pestkrankenhaus in BS ist das heutige C&A-Gebäude.

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