Wider dem Keuschheitsgelübde

Christina/ Juli 8, 2024/ Alltagsgeschichten

Das Kloster Isenhagen am Ortsrand von Hankensbüttel ist eines der sechs Heideklöster. Als wir an diesem Sonntag an einer Führung teilnehmen wird schnell deutlich: dies wird ein Rundgang der besonderen Art. Das liegt eindeutig an der Klosterbewohnerin, die, wie sie selbst sagt, gerne provoziert. Ich kann mich nicht erinnern, bereits eine derart unterhaltsame und spannende Führung erlebt zu haben. Es wird sowohl über männliche Fantasievorstellungen gesprochen als auch über das wahre Leben in einem Damenstift. Dessen Ursprünge liegen im „feuchten Dreieck“. Eben, wider dem Keuschheitsgelübde!

Viel Geld und persönlicher Ruhm
Schnell wird an diesem Nachmittag deutlich, dass Geld, Macht und die Vermehrung des eigenen Ruhms immer schon Triebfedern des menschlichen Handelns waren. Auch des geistlichen. Nach einer Wanderung rund um Hankensbüttel finden wir uns kurz nach 15 Uhr an den Klostermauern ein. Da das Damenstift Isenhagen bewohnt ist, kann es nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden. Diese werden in den Sommermonaten von 14:30 Uhr – 17:00 Uhr angeboten. Als großer Fan von Klosteranlagen muss ich hier natürlich zuschlagen. Als ich die Tür zum Kloster öffne, erklingt ein Glöckchen und sogleich steht mir die Äbtissin gegenüber, Frau Cornelia Renders ist ihr Name.

Eine Führung ist bereits im Gange. Dieser dürfen wir uns anschließen. Uns wird versichert, dass wir den verpassten Teil am Ende nachholen werden. Frau Renders begleitet uns sogleich in die Klosterkirche. Hier stoßen wir zu den anderen. Unser kleines Grüppchen besteht aus neun Personen. Vom Gotteshaus geht es weiter in den Garten. Sofort wird unser Augenmerk auf einen riesigen amerikanischen Trompetenbaum gezogen. Die Pflanze blüht in Weiß und nimmt große Teile des Innenhofs ein. Das ehemalige Zisterzienserkloster wurde im gotischen Stil erbaut. Eine Äbtissin wollte den Bau komplett renovieren und dem damaligen Geschmack anpassen lassen. Zum Glück konnte sie nicht genügend Geld einsammeln, sodass nur der heute bewohnte Teil modernisiert wurde.

Ein 700-Jahre altes Provisorium
Unsere nächste Station ist der Kreuzgang. Seinerzeit wollte man das Kloster umbauen. Da kam aber die Pest dazwischen. Bevor die Handwerker das Weite suchten, errichteten sie so um 1349 eine Holzdecke als Provisorium. Eine Übergangslösung, die bis heute erhalten ist. Das müssen dann wohl gute Handwerker gewesen sein.

Wir stehen nochmals vor dem Eingang der Klosterkirche und schauen auf eine Wandtafel. Von jetzt an geht es ans Eingemachte. Die „gläubige“ Dame, die dort abgebildet ist, streckt ihre Hände in vermeintlicher Demutshaltung aus. Tatsächlich, so erfahren wir, handelt es sich hier um eine Frau aus dem Adel, die mit Demut und Arbeit so gar nichts am Hut hatte. Wir hören, dass das Kloster in erster Linie von Damen aus dem Adel und dem Bürgertum aufgesucht wurde. Aus dem Bürgertum deshalb, weil hier das Geld saß. Zielsetzung der ganzen Geschichte war die (Aus-)Bildung dieser Personen. Es handelte sich also keinesfalls um devote Dummchen, sondern selbstbewusste Damen. Auch Frauen jenseits der 30 Jahre, die auf dem Heiratsmarkt nicht mehr zu vermitteln waren, landeten hier.

Und ja, auch in dieser Einrichtung begab Frau sich in Klausur. Aber, wer nun glaubt, dass hier das Keuschheitsgelübde regierte, ist einer Männerfantasie aufgesessen. Denn, so werden wir belehrt, die Damen durften ja pilgern. Und wohin gingen sie? Richtig, in die umliegenden Männerklöster. Auch damals setzt sich bereits die Biologie durch. Außerdem seien die Mönche recht bewandert gewesen in den Künsten der Verhütung. Schau an! Schon seinerzeit wurde nichts durch die Rippen geschwitzt.

Macht und Ansehen
Bevor es in das Refektorium geht, machen wir vor einer Steintafel halt. Als ein Exempel der Selbstdarstellung wird uns der abgebildete Herr dargestellt. Sein Alter wird auf 33 Jahre geschätzt. In dem Alter starb Jesus am Kreuz. Um diese Kollation geht es hier. Zu seinen Füßen hat der Herr das Paradies abbilden lassen, über ihm schwebt ein Baldachin. In der damaligen Vorstellungswelt bedeutet dies, egal, wie es mit seinem Leben weitergeht, nach seinem Tod wird es gut laufen.

Im Refektorium erfahren wir mehr über die Machtdemonstrationen von einflussreichen Männern. Bernhard von Clairvaux, ein Sprössling aus dem französischen Hochadel, ausgestattet mit den nötigen finanziellen Mitteln, gründete seinerzeit (1098) den Zisterzienserorden. Die damaligen Zustände werden uns wie folgt beschrieben: Das Rittertum neigte sich so langsam dem Ende zu. Die jungen Herren aus gutem Hause langweilten sich und lungerten mehr oder weniger auf der Straße herum. Was also tun mit der testosterongesteuerten Meute? Richtig, vergeistigen und ab ins Kloster. Den ärmeren Teil der Jungschaar lockte man mit verführerischen Versprechungen ins Heilige Land. Diese Kreuzritter sollten Jerusalem zurückerobern. Dafür wurde ihnen der Ablass ihrer Sünden aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft versprochen. Ach ja, und um Geld ging es auch. Wie dem auch sei, auf jeden Fall war man das Pack erstmal los. Die Zahlungskräftigen zogen, wie bereits gesagt, ins Kloster. „Ora et labora“ hieß es von nun an. Dabei ging es bei „labora“ nicht um körperliche, sondern geistige Arbeit.

Während Clairvaux damals so um die 300 Zisterzienserklöster gründete, entstanden zur gleichen Zeit rund 1.000 Frauenklöster. Geschäftstüchtig wie man(n) damals war, bot der Franzose den Damen ebenfalls den Status eines Zisterzienserklosters an – natürlich gegen Geld. Nun, nur einem Kloster sei es gelungen, diesen Titel zu erlangen. Es ist das Kloster Lilienthal bei Bremen. Alle anderen blieben unter Observanz und konnte so besser kontrolliert werden.

Luxuswohnungen für die Betuchten
Über eine Holztreppe geht es in den ersten Stock. Hier stellt sich ein anderes Bild dar. Alles ist in dunklem, schwerem Holz gehalten. Wir kommen an ein paar Türen vorbei und ich frage mich, was sich wohl dahinter verbirgt. Besonders gut gefallen mir die bemalten Wände. Außerdem riecht es hier gut -, das war bestimmt nicht immer so. Wir widmen uns zunächst einer Truhe am Ende des Gangs. Da man seinerzeit bereits betriebswirtschaftlich dachte, richtete man in diesem Stockwerk Luxuswohnungen – für damalige Verhältnisse – ein, die von gut betuchten Damen bewohnt wurden. Diese brachten zwei Bedienstete mit und jede Menge Kleider, die dann eben in diesen Truhen lagerten. Mit der Hygiene hatte man es damals nicht so. Die Kleider wurden maximal einmal im Jahr gewaschen.

Dreimal im Leben durfte man baden
Noch strikter verhielt es sich mit der Körperhygiene. Ganze dreimal im Leben durfte man seinerzeit baden: Zur Geburt, vor der Hochzeitsnacht und nach dem Tod. Männer durften gegebenenfalls ein bis zwei Mal öfter baden, je nachdem, wie oft sie geheiratet haben. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie bestialisch das früher hier gestunken haben muss. Ein Pumakäfig ist sicherlich nichts dagegen. Wir werfen noch einen Blick in die Räume der Damen. Der Wandschmuck in den Zimmern stellt Tulpen dar. Warum das? Nun, Tulpen duften nicht und standen somit für die Keuschheit der Damen.

Bevor wir einen Blick in das hauseigene Museum werfen, besuchen wir den Kapitelsaal. Zu unser aller Überraschung wird uns gesagt, dass hier das älteste Möbelstück Deutschlands stehe. Es ist der Wanderstuhl Heinrichs des Löwen. Respekt! Weiterhin wird unser Interesse auf einen Gebetskäfig im hinteren Ende des Raums gelenkt. Über der Konstruktion hängt ein Bild einer Äbtissin von 1540. Unsere Gästeführerin macht uns darauf aufmerksam, dass die Darstellung der Dame an ein bekanntes Bild von Leonardo Da Vinci erinnert. Klar, die Mona Lisa. Tatsächlich hatte die Dame rund 40 Jahr später nach der Anfertigung der Mona Lisa den Stil Da Vincis übernehmen lassen. Und noch eine zweite Sache zeigt ihre Eitelkeit: Ihre Kleidung. Das schwarze Gewand steht keinesfalls für die katholische Kirche, sondern für den damaligen Modestil in Italien. Und was hat es mit dem Gebetskäfig auf sich? Nun, den hatte sich die Dame für ihre Gebete errichten lassen, um nicht mit dem Rest Gott anrufen zu müssen.

Perlen der Unschuld
Im Klostermuseum lagern wahre Kunstschätze. Das wertvollste Stück ist – wie sollte es anders sein – mal wieder ein Ablassbrief. Dieser hat am Ende unzählige Siegel und muss Millionen wert sein. Vielleicht auch schon damals, denn sein Besitzer war ein sehr wohlhabender Mann.

Noch interessanter wird es aber bei den Perlenstickereien. In den Gewässern rund um das Kloster sammelte man früher Muscheln. In jeder siebenhundertsten Muschel befand sich eine Perle. So kann man leicht errechnen, wie viele Muscheln man wohl benötigte, um die Figur der Maria von Magdala mit 300 Perlen abzubilden. Warum Perlen? Nun, diese standen für Unschuld und Reinheit. Wer aber war diese Maria? Eine ehemalige Dirne, die sich als reumütige Büßerin bekehren lies und den Magdalenenorden gründete. Eine Ansammlung ehemaliger Prostituierten, die teilweise von Männern geheiratet wurde, die wiederum dafür mit Ablassbriefen belohnt wurden. Wer schert sich schon um das Seelenheil, wenn es Geld zu verdienen gibt?

Hokus Pokus in der Klosterkirche
Zuletzt geht es nochmals in die Klosterkirche. Uns fehlt noch der Anfang der Führung. Es geht um den Altar. Nur zum Teil interessiert uns die Vorderseite, denn was hinter dem Altar passierte, ist noch interessanter. Die alten Holztüren zeigen „Graffiti“ aus dem 16. Jahrhundert. Und was Wilma und Peter hinter dem Altar machten, naja, das wollen wir gar nicht so genau wissen. Lustig ist aber die Anekdote, dass das Abendmahl zum Hokus Pokus verkam, weil die Herren kaum noch Zähne im Mund hatten und der lateinische Spruch zur Einnahme der Oblate dann in den Ohren der Gemeinde wie „Hokus Pokus“ klang.

Fun Fact am Rande: Die Fliesen auf dem Boden der Kirche sind mit Mustern verziert, damit sie nicht von den Bauern gestohlen werden.

Das Bild unter dem Altar ist das Isenhagener Abendmahl. Auch hier wurde wieder vom italienischen Vorbild abgekupfert. Allerdings zum Essen gibt es geröstetes Eichhörnchen. Wohl eher nichts für den südeuropäischen Magen. Interessanterweise erfahre ich an dieser Stelle, dass sowohl Leonardo da Vinci als auch Michelangelo Buonarroti schwul waren. Erkennungszeichen des ersteren waren Männer mit Goldlocken. Buonarrotti stand mehr auf den abgearbeiteten Bauerntyp.

Jetzt wollt Ihr natürlich noch wissen, was es mit dem „feuchten Dreieck“ auf sich hat. Das Restaurant „Zur Linde“ in der Ortsmitte von Hankensbüttel wurde auf den Grundmauern des ehemaligen Klosters Isenhagen aufgebaut. Letzteres war nämlich im Jahre 1767 abgebrannt. Traditionell existieren an dieser Stelle, wo sich zwei wichtige Heerstraßen kreuzen, seit über 650 Jahren Kneipen. Noch heute wird diese Kreuzung in Hankensbüttel „feuchtes Dreieck“ genannt. Oder habt Ihr etwa an etwas anderes gedacht?

Sowohl die Tour durch die Feldmark, Alt-Isenhagen und an den Isenhagener Teich als auch diese wirklich unterhaltsame und interessante Führung habe ich genossen. Diesen Ausflug in die Heidmark kann sie jedem nur empfehlen.

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