Deutsche Autoindustrie unter Druck

Christina/ Januar 17, 2025/ Alltagsgeschichten

Donnerstag, es ist früher Abend. Ich bin auf dem Weg in das Haus der Wissenschaft. Dort bin ich zu einem Vortrag im Institut für Volkswirtschaftslehre angemeldet. Ein Vortrag wartet auf mich. Es geht um nichts Geringeres als den wichtigsten deutschen Industriezweig: die Automobilindustrie. Denn genau die ist mit ihrem einst so erfolgreichen Geschäftsmodell unter Druck geraten. Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln will heute über die Gründe referieren. Das will ich mich anhören.

Eine nie dagewesene Resonanz
Als ich den Vortragssaal erreiche, staune ich, salopp gesagt: „Die Bude ist voll. Das Interesse ist groß.“ Und genauso sieht es auch Felix Rösel, seines Zeichens Professor an der TU. Rösel führt in den Vortrag ein und bestätigt meine Wahrnehmung. Noch nie hätte ein angekündigtes Referat so eine große Resonanz erlebt. Abgeordnete und (ehemalige) VW-Manager seien heute zu Gast. Nun, denke ich, ist ja kein Wunder. Schließlich ist unsere Region von den Erschütterungen in der Autobranche besonders betroffen.

Die Totenglocken läuten noch nicht
Dann tritt Thomas Puls ans Mikrofon. Und ich muss sagen, der Mann gefällt mir. Nicht nur, weil sein launiger Vortrag, trotz aller Ernsthaftigkeit, unterhaltsam ist. Nein, Puls verbreitet eine Einstellung, die den meisten Anwesenden und wohl auch vielen Deutschen mindestens zurzeit fehlt: Zuversicht. Wie komme ich darauf. Nun, ich habe die Gespräche neben und hinter mir verfolgt. Und diese sind eindeutig ein Abgesang auf die Branche, natürlich verbunden mit dem Üblichen „Ich habe es ja schon lange gewusst.“ Klar.

Massive Umbruchphase, die was kosten wird
Zurück zu Puls. Der Referent verhehlt zu Beginn seines Vortrags nicht, dass das Goldene Zeitalter der Automobilindustrie vorbei sei. Wir befänden uns in einer Umbruchphase, so legt er weiter dar, die „was kosten wird“. Und das sei für die erfolgsverwöhnte Branche sicherlich erst einmal ungewohnt. In seinen Folien zeigt Puls die schwächelnden Produktionszahlen und Umsätze der letzten Jahre. Sein Vortrag beruht auf seinem IW-Report: „Die Automobilindustrie im Jahr 2024“. Jetzt kommen zunächst die Fakten und damit die nackten Zahlen auf den Tisch. Seit dem Jahrtausendwechsel hat sich der Schwerpunkt der globalen Autoindustrie nach Asien verschoben. Seit 2023 werden 60 % aller Kraftfahrzeuge weltweit in Asien gebaut und fast 50 % auch dort verkauft.

„Das dritte Quartal war richtig schlecht“
Zunächst konnte besonders die deutsche Industrie von dieser Entwicklung profitieren. Warum? Nun, das lag an der bisherigen zweigleisigen Strategie. Zum einen an der globalisierten Produktion und Absatz. Zum anderen an der Dominanz deutscher Hersteller im Premiumsegment. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer, wie Puls im Folgenden anschaulich zeigt.

Ab dem Jahr 2018, also nicht erst seit Corona, ging es mit den Produktionszahlen in Deutschland bergab. Im Jahr 2023 lag sie auf dem Niveau von 1985; ohne die Fertigung von E-Autos läge sie sogar auf dem Niveau von 1966! Gleichzeitig weist der Autor aber auch daraufhin, dass diese Entwicklung kein rein deutsches Phänomen sei. Schlusslicht der Autoindustrie in Europa seien mittlerweile die Franzosen und die Italiener. Aber auch in Japan stünden die Zeichen auf Sturm, wie die geplante Zwangshochzeit von Honda und Nissan verdeutliche.

Premiumsegment als rettender Engel
Puls ist sich sicher: Nur das Premiumsegment kann die deutsche Automobilwirtschaft retten: Die Produktion von Kleinwagen, so seine Erklärung, sei uninteressant. Kleinwagen würde dort gebaut, wo sie auch verkauft werden. Nur Fahrzeuge der Premiumklasse ließen sich exportieren. Nur damit mache man Geld. Der schwache Heimatmarkt, und damit meint er Europa, reiche als Absatzgebiet schon lange nicht mehr aus. Das Geld wird in Asien verdient. Und da gilt es, den Geschmack der dortigen Klientel zu treffen. Und eins macht er auch sehr deutlich: Hätten die deutschen Autobauer nicht den chinesischen Markt für sich rechtzeitig entdeckt, dann wären die Lichter schon lange ausgegangen.

China als wichtigster Produktionsstandort
Die ganze Sache hat nur einen Haken: die chinesische Autoindustrie hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Allen voran der E-Autobauer BYD. Der Name „Build your dreams“ ist hier also wörtlich zu nehmen. Das chinesische Unternehmen, zu Anfang vielleicht belächelt, hat der weltweiten Branche mittlerweile das Fürchten gelehrt. Ford und Stellantis, so sagt Puls, ging es am schlechtesten; Toyota, Skoda und vielleicht noch Volvo seien derzeit die Gewinner.
Wissensvorsprung geht verloren
Die Abkehr von den Verbrennermotoren habe einen entscheidenden Nachteil: Der Wissensvorsprung der deutschen Autobauer gehe so verloren. 2/3 aller E-Autos werden in China zugelassen. Der Autozulieferer CATL meldet zwischenzeitlich weltweit die meisten Patente in diesem Zweig an und sei dabei, das Unternehmen Bosch von seinem Spitzenplatz zu vertreiben. Es käme nicht von ungefähr, dass CATL ein Werk in Deutschland gebaut hat. BYD dagegen baut ein Werk in Ungarn und ein weiteres in der Türkei.

Arbeitsplatzabbau wird sich fortsetzen
Der Trend zum Arbeitsplatzabbau in der Autobranche wird sich weiter fortsetzen. Da ist sich Puls sicher. Koste die Arbeitsstunde in Deutschland 80 Euro, so seien es im europäischen Durchschnitt 30-40 Euro. Eine Kostendeckung sei so nur im Premiumsegment möglich. Aber: in den letzten Jahren haben die deutschen Hersteller auf dem chinesischen Markt einen Absatzrückgang von 10 % hinnehmen müssen, allen voran die Luxusklasse von Porsche.
Was empfiehlt er der Wirtschaft?

Nach Puls Vortrag geht es in eine kurze Fragerunde aus dem Publikum. Ein streitbarer älterer Herr aus der dritten Reihe rechnet den Anwesenden vor, dass es die teuren Stromkosten seien, die der deutschen Wirtschaft das Genick brächen und zudem erst dazu geführt hätten, dass die E-Auto-Produktion in China so richtig fahrt aufgenommen hätte. Kürzlich sei er erst in China gewesen. Strom zu „tanken“ koste dort an der Ladesäule, die übrigens überall verfügbar seien, so um die 8-9 Cent. Davon könne man in Deutschland nur träumen. Hier hätten lediglich Eigenheimbesitzer mit Solaranlage auf dem Dach und Wallbox an der Wand ein E-Auto.

Wir haben das Machen verlernt
Puls‘ Fazit seines Vortrags geht noch in eine andere Richtung: „Wir haben das Machen verlernt. Wir sagen immer nur was nicht geht“, so sein Resümee. „Der Chinese erfindet, der Amerika setzt um und der Deutsche reguliert.“ An dieser Trias ist leider viel Wahres. Aber vielleicht sind Puls Worte ein kleiner Weckruf, der aus dem Vortrag heraus hoffentlich bald größere Kreise zieht. Möge er die zuständigen Stellen erreichen.

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