Corona-Tagebuch: Nervenkitzel am Saale-Radweg

Christina/ November 16, 2020/ Alltagsgeschichten, Kultur

Habt Ihr schon einmal den Slogan gehört “Get your kicks on route 66”? Wenn nicht, auch nicht schlimm. Denn euren Nervenkitzel könnt Ihr auch viel preiswerter und ohne Langstreckenflug bekommen. Wo? Auf dem Saale-Radweg. Heutzutage ist ja alles der Erlebnis-Kultur unterworfen: Ob Nackt-Wandern, Diner im Dunkeln oder Bungee-Jumping. Aber habt Ihr es schon eimal mit Radfahren im Dunkeln ohne Licht probiert? Nein, dann habe ich hier die ultimative Challenge für euch. Und ganz nebenbei könnt Ihr noch ein bisschen in Kultur machen: die Burg Schönberg und der Ort Weißenfels liegen direkt am Saale-Radweg, da lohnt sich der Abstecher. Denn, wenn zu Corona-Zeiten schon alles dicht ist, dann muss man sich eben sein eigenes Erlebnisprogramm schaffen. Und das geht selbst schon mit kleinen Dingen, wir Ihr gleich erfahren werdet. Prädikat: Nachahmenswert.

Traumhafte Landschaft
Klar, bei dem Jahrhundertwetter ist es draußen am schönsten. Fragt mich nicht wie, aber über Connections und mit einer Portion Hartnäckigkeit haben wir es in der touristenfreien Zeit trotzdem noch geschafft, ein Leihfahrrad zu ergattern. Stolz wie Hulle brechen wir also an diesem fantastischen Samstagmorgen mit den Drahteseln in Richtung Weißenfels auf. Die Chancen sind jedoch ungleich verteilt: während Sandra auf ihrem sportlichen Trekkingrad sitzt versuche ich mit der Leihgurke klar zu kommen. Naja, wird schon gehen.

Den Einstieg in den Saale-Radweg bei Bad Kösen haben wir schnell gefunden. Fuchsig wie ich bin, hatte ich diesen natürlich schon bei Zeiten ausgekundschaftet. Der Weg ist gut ausgebaut und fährt sich prima, da es nur wenige und geringfügige Steigungen zu bewältigen gilt. Bei sagenhaften 15 Grad (im November!) genießen wir die wunderschöne Landschaft, die Weinberge und entdecken zwei Häuser, die direkt in den Fels gebaut sind.

Ritterfeeling auf Burg Schönburg
Unerwartet entdecken wir nach einer Biegung eine Ritterburg wie aus dem Bilderbuch: Burg Schönburg. Da ist der Name Programm. Neugierig und aufgeregt wie die kleinen Kinder erstürmen wir die Festung. Und dann sehen wir auch noch, dass die Burgschänke Essen und Getränke “to-go” anbietet. Ja ist denn schon Weihnachten?

Wir erkunden die Burganlage. Neben der Schänke gibt es ein Standesamt und einen schönen Saal zum Feiern. Das absolute Highlight ist aber der Bergfried, den ich beinahe verpasst hätte. Plötzlich klingelt mein Handy und von oben ruft jemand “Huhu”. Oh, das ist ja Sandra. Ich hatte mich schon gewundert, wo sie bleibt. Schnell gehe ich die vier Holztreppen hinauf in die Turmspitze. Oben ist das alte Uhrwerk des ehemaligen Kirchenchronometers zu besichtigen. Dann geht es hinaus auf die Aussichtsplattform. “Wow” denke nur. Wie toll ist das denn? Wir genießen einen 360 Grad-Blick auf Schönburg und die Umgebung. Bei dem Wetter und der tollen Sicht ist das ein absoluter Traum. Der einzige Wehrmutstropfen in der Anlage ist die kaputte Kaffeemaschine. Naja, dann verschieben wir unsere Käffchenpause halt auf Weißenfels.

Der süße Bäcker von Weißenfels
Eine gute Stunde später erreichen wir Weißenfels. Auf den ersten Blick sind wir ein wenig enttäuscht. Hier sieht Vieles baufällig aus. Wir versuchen uns zu orientieren. Da hilft uns der Turm der St. Marien-Kirche, er zeigt uns an, wo die Innenstadt liegt. In der Fuze fällt unser Blick auf einen Drogeriemarkt. Am Fahrradständer vor dem Laden machen wir unsere Räder fest. Dass das eine nicht so gut Entscheidung ist, merken wir erst später. Zunächst machen wir also ein paar Besorgungen. Die Räder lassen wir dort stehen und erkunden die Stadt. Hm, es ist kurz nach 13 Uhr und alles hat bereits geschlossen. Also fast alles, ein Bäcker hat noch offen. Ob der wohl einen Kaffee für uns hat?

Wir betreten den Laden oder versuchen es zumindest. Die Ladenfläche ist sehr klein, sehr vollgestopft und schwer zu überblicken. Wir erkundigen uns nach einem Kaffee, das scheint kein Problem zu sein. Der Bäckersmann kommt uns etwas unbeholfen vor, aber warten wir es mal ab. Wir bestellen also zwei Kaffee. Jetzt brauchen wir noch etwas zum Essen. Ich entscheide mich für eine Bretzel und frage, ob ich da noch Butter drauf kriegen kann. Klar, sagt mir der Bäckersmann. Wo soll die denn hin? Auf das Salz oder in die Bretzel rein? Ich bin etwas irritiert über die Frage. Schließlich schneidet der Mann die Bretzel auf und alles geht seinen Gang. Für den Weg nehmen wir uns noch etwas Süßes mit, dann suchen wir uns ein sonniges Plätzchen.

Die renitente Rentnerin
Vorher müssen wir uns aber noch mit einer stadtbekannten renitenten Rentnerin auseinandersetzen. Die Dame steht plötzlich im Laden und mitten im Weg. Sandra spricht die Damen freundlich an, weil diese den Weg versperrt. Es kommt keine Reaktion. Sie versucht es ein zweites und ein drittes Mal. Der Bäckersmann, der die Szene mitbekommen hat, sagt uns, dass die Dame renitent und obstinat und dazu noch stadtbekannt sei. Sandra geht an der Frau vorbei ohne diese zu berühren. Die Dame aber sucht den Streit und fängt an zu pöbeln. Daraufhin ergreift der Bäckersmann die Initiative, fährt die Frau an und schickt diese mit den Worten raus: “Hier dürfen doch nur zwei Personen rein. Warten Sie gefälligst draußen.” Oh, das hat gesessen, schwupdiwupp ist die Damen entschwunden.

Ein halb renoviertes Schloss
Nach der süßen Pause wollen wir noch ein wenig die Stadt erkunden. Wir gehen zum Schloss Neu-Augustusburg, das mächtig über der Stadt thront. Auffallend ist, dass das Schloss nur zur Hälfte renoviert wurde. Warum das so ist wissen wir nicht, vielleicht ist das Geld knapp geworden? Auf jeden Fall haben wir von hier oben einen schönen Blick auf die Stadt. Interessant ist, dass das Schloss auch ein Frauenort ist. Es geht um Friedricke Caroline Neuber, die vor ihrer Familie geflohen ist.

Wir setzen unseren Stadtspaziergang fort und kommen am Gustav-Adolf-Museum – dem Geleithaus – dem Heinrich-Schütz-Haus vorbei und gelangen schließlich zum Kloster St. Claren, das gerade renoviert wird.

Eine Geschichtsstunde auf der Straße
Ich drehe mich um und sehe plötzlich wie sich Sandra mit einem Mann, der in einem großen BMW sitzt, unterhält. Der Mann steht mitten auf der Straße und fragt, warum wir uns für das Kloster interessieren. Wir erzählen ihm, dass wir Touristen sind. Da legt er los, wir erhalten eine kurze Geschichtsstunde über Weißenfels. Zum Schluss legt er uns noch das Schloss in Goseck und das Sonnenobservatorium ans Herz, da will er nämlich zum Sonnenuntergang hin. Oh, apropos Sonnenuntergang. Es ist spät geworden und wir müssen ja noch zurück nach Bad Kösen.

Wir gehen zu unseren Fahrrädern zurück. Huch, wo ist denn der Ständer und wo sind unsere Räder? Oh, die lehnen beide an einem Baum. Wieso das? Ach so, der Drogeriemarkt hat zwischenzeitlich geschlossen und seinen Fahrradständer in den Markt gestellt. Oh nur gut, dass wir die Räder nicht am Ständer festgemacht hatten. Das hätte eine böse Überraschung werden können.

Eine Radtour im Dunklen
Wir treten den Rückweg an. Die Dämmerung setzt bereits ein. Jetzt müssen wir uns beeilen. Es wird immer dunkler, die Hinweisschilder am Radweg sind schlechter zu erkennen. Auf der Höhe von Naumburg ist es richtig dunkel. Ich schalte meinen Dynamo an und was passiert? Nichts. Ich habe keine Licht und damit ein Problem. Sandra hat an ihrem Fahrrad eine Anstecklampe, ein wenig können wir von unserem Weg sehen. Als wir in Naumburg an einer Kreuzung stehen, ist vor uns die Polizei. Mist. Jetzt muss ich mein Rad schieben bis die Ordnungshüter außer Sichtweite sind. Mir steht der Fußschweiß auf der Stirn. Wenn die mich jetzt ansprechen. Naja, das ist nochmals jut jejange. Aber ohne Licht fühle ich mich schon sehr unwohl.

Ich atme auf als wir wieder den Saale-Radweg erreichen. Nicht, dass ich hier mehr erkennen kann, aber hier ist das Auge des Gesetzes nicht unterwegs. Wir tasten uns langsam vor. Inzwischen haben wir unseren Humor wiedergefunden und lachen über die Situation. Zudem erleben wir an der Saale einen sagenhaften Sonnenuntergang mit roten Farbtönen, die jeder Beschreibung spotten, weil sie unbeschreiblich schön sind.

Ein Döner als Rettung
Wir schaffen es unfallfrei zurück nach Bad Kösen. So, das Abendessen haben wir verpasst. Jetzt brauchen wir eine Alternative. Ab zum Dönerladen, der hat ja immer offen und ist unkompliziert. Zum Abschluss der Tour gönnen wir uns zum Essen einen Piccolo-Sekt. Glücklich sowohl über die tolle Fahrradtour als auch den glücklichen Ausgang genießen wir zufrieden unser Essen – ein wohlverdienter Abschluss dieses außergewöhnlichen Tages.

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